Dienstag, 5. Oktober 2010

Impressionen aus dem Heiligen Land

Lo rozim - lo zarich (Wenn Ihr nicht wollt, dann halt eben nicht)
mit Konterfei von Theodor Herzl

Man hat die Feiertage für einmal im Lande Kanaan verbracht, diesem schmucken und seit 613 Jahren hippen Stück Land zwischen Europa und Afrika, Wahnsinn und Heiligkeit, Sodom und Gomorrah und schliesslich eingeklemmt zwischen zwei wunderbaren Burgerbrot-Hälften. Dazu aber mehr später.
Dass die gewöhnlich Sterblichen am Nabel der Welt sich nach über 60 Jahren der Unabhängigkeit immer noch mit dem Traum des Überlebens, einer politischen Einigung und dem Traum einer "relativen" Normalität auseinandersetzen (siehe Bild oben), ist wohl verständlich. Inzwischen wächst Israel und dessen Zentrum entlang dem dünnen Küstenstreifen am Mittelmeer und platzt aus allen Nähten. Neugegründete Familien und frisch verheiratete suchen verzweifelt nach dem physischen Basecamp ihrer neuen Einheit. Die Preise von Mietwohnungen haben jedoch bei der stetig steigenden Anzahl von ausländischen Zweitwohnungsinhabern und -suchenden bereits europäisches Niveau erreicht, während die Löhne immer noch ca. bei 30-50% der Einkünfte in der Schweiz liegen. Die Alternativen sind also entweder ein verrottetes Loch in einem schlechten Quartier der Stadt, entlang einer Autobahn-ähnlichen 6-spurigen Strasse oder alternativ die Flucht aufs "Land". Das wären Retortendörfer und -siedlungen, welche ziemlich schmuck aussehen, in Dörfern, von welchen man heute keine Ahnung hat, wie sie übermorgen aussehen (durative Wachstumsquoten von mehreren hundert Prozent) und der zusätzlichen Schwierigkeit, dass Bauwesen in Israel so etwas von unreguliert und anachronistisch ist, dass es am ehesten umschrieben werden kann mit "Jeder-macht-was-er-will", Hauptsache, er kriegt auf irgendeine Weise eine Bewilligung für sein Bauvorhaben. Sitzt man wieder in Tel Aviv in einem der turmhohen Hotelgebäude am Meer und schaut auf die Stadt rein, ergibt sich ein Bild des Grauens: Überall, wo aufgrund von Meerexponierung, natürlicher Erosion, Feuchtigkeit und womöglich auch suboptimaler Bausubstanz ein Gebäude abgerissen wird, wird an dessen Stelle ein Klotz mit mindestens 15 Stöcken aufgestellt. Entweder hat dieses die Ästhetik der Plattenbauten in der DDR (moderne Version, also wohl eher wie am Max Bill-Platz in Oerlikon) mit Pro forma-Balkonen und viel massivem Gebälk. Oder man entschliesst sich, etwas Postmodernes hinzustellen und verdeckt das ganze mit geraden oder abgerundeten, spiegelnden und höchst unpersönlichen Fensterfassaden: insgesamt direkte Nachfahren der Asrieli-Türme. Wohlverstanden ist nichts gegen eine Skyline einzuwenden, sofern sie geografisch eingegrenzt und städteplanerisch durchdacht ist, was im postmodernen, anachronistischen Tel Aviv sicherlich nicht der Fall ist. Kurzum: Tel Aviv sieht aus wie work in progress: Es rumort an allen Ecken, überall wird gebaut, was es auch nun hinhält. Umweltschutz ist ein Fremdwort (auch wenn man langsam lernt, wie man es wenigstens schreibt) und die Stadt an sich ist mit Hundekot übersät. Was an sich ziemlich erstaunlich ist. Man sieht kaum Hunde, ausser diesen Arsim-Bulldogg-Beissmaschinen und dennoch schafft es kein Trottoir ohne diesen Kotschmieren, die mit der feuchten Hitze auch noch verschmiert werden und stinken wie kaum ein Kläffer dies tut (ja, in Zürich kann man im Winter mit Hundekot Dart spielen, sofern man dann mal einen findet). Auf dem Land hingegen baut man schmucke Häuschen mit 1-2 Stöcken, zumeist als Eigentum ausgestattet. Sie sehen alle von aussen aus, als seien sie aus Stein gebaut,. Wenn man den Grundriss aber betrachtet, besteht oftmals die Grundstruktur aus Holz und darüber klebt dann eine Platte, welche das ganze als Steinbau aussehen lässt (nach dem Vorbild der IKEA-Holzoberflächen, die eigentlich aus überklebtem Kunststoff bestehen). Man wohnt so ein bisschen weiter weg vom Zentrum, ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln so gut wie gar nicht mehr erreichbar, sitzt am Morgen regelmässig halbe Ewigkeiten im Stau, aber immerhin, man kann sich etwas erträglicheres Wohnen leisten.

Aber Tel Aviv ist auf seine Art auch ein verrückt geiles Pflaster. Das Wort Flanieren entstammt nach CC-Nachforschungen eigentlich aus dem Hebräischen. Die Wurzeln sind zwar nicht ganz klar, aber wer mal auf der Tayelet, Shuk haCarmel, Shuk Bezalel, dem Shuk haPishpushim in Yaffo, auf Sheynkin, der Ben-Yehuda oder Diesengoff (nicht abschliessende Aufzählung) unterwegs war, kann dies bezeugen. Unter anderem fällt man innerhalb von Gruppen immer wieder zurück, weil man gar nicht genug kriegt von diesen wahnwitzigen Konversationen, Diskussionen und unnachahmlichen Verkaufsgesprächen. Ein Genuss sondergleichen. Ebenfalls ein Besuch wert ist inzwischen die Hafengegend im Norden mit einer Höllenaussicht auf die nächtliche Meeresgischt.

Um den hiesigen Schabbestischen die Konversationsthematik Nr. 1 nicht zu nehmen, wollen wir an dieser Stelle auch auf die kulinarischen Entwicklungen im Land von Milch und Honig Rücksicht nehmen. Im Gegensatz zum untenstehenden Autor habe ich mich in 10 Tagen Aufenthalt mit lediglich zwei Löffeln Cottage und einem Milkshake zufriedengegeben, sonst nur Fleisch. Ging los mit dem legendären Shwarma vom "Shemesh" auf Jabotinsky in Ramat Gan, geht über das g-a-n-z-e Menü der Burgers Bar (Lammburger oder die scharfe 300g-Keule), dem Jem's in Ramat Gan (Rib-Eye Entrecote!) sowie dem obligaten Besuch am Freitag um 12:00 in Fertigwaren-Verkaufslokalen von Bnei Brak:
"Ist das dieser unförmig grosse Topf da hinten Tschulent?"
"Ja, aber der ist noch nicht bereit." Und schon hatte ich wieder dieses glückselige Lächeln im Gesicht, sodass ich mich mit einer einfachen Portion gesüsster gehackter Leber zufrieden gab. Ah ja, eine Ankündigung des Weltuntergangs und atomaren Supergaus habe ich auch noch entdeckt. Klickt auf das Bild und vergrössert es, die Lektüre jeder einzelnen Zeile lohnt sich!
Im Gegensatz zu den vermittelten Befürchtungen vor Abflug steht es um die Strände kein bisschen im Argen: Wie überall liegen auch in Tel Aviv am Strand kleinere Plastikpartikel rum, jedoch sind die Strände von immer wieder erneuert festgestellter Stärke (Helme bitte anziehen, akute Matkot-(Beach Tennis) Abschussgefahr!). Natürlich git es besseres und schlechteres, flachere und langweiligere Abschnitte, insbesondere da, wo Wellenbrecher stehen. Es finden sich aber ein paar durchaus auch als spektacoolär zu bezeichnende Strände, deren Namen aus Persönlichkeitsrechten (nämlich meine eigenen, wenn ich das nächste Mal wieder da auftauche, will ich nämlich wieder meinen Frieden) und im Rahmen des Strandschutzprogramms unerwähnt und verborgen bleiben sollen. Sucht Euch Euren Frieden selbst.

Ein anderes Highlight ist neben den immer noch sensationellen Rogalach von Marzipan (bitte zuerst 2 Tage stehen lassen, bis der Zucker am Rand ankrustet, Wahnsinn!) sodann der Besuch der Weinkeller (beispielsweise) von Tishbi und Binyamina um Zichron Yaakov herum, welche absolut nachzuahmen sind. Abgesehen von den professionell durchgeführten Tastings hervorragender Weine hat Tishbi beispielsweise eine sensationelle Käseplatte, welche dringend zu kosten ist. Weniger als Highlight geblieben ist der Easy Mc Royal am Sonntag Morgen am Flughafen verblieben. Nach 10 Tagen erlauchter Verköstigung und Leibspeisen jeglicher Färbung war die Verlockung auf einen letzten Burger auf geheiligtem Boden zu gross. Kein Geschmack, lauwarm, gummig, fürchterlich. Wenn's nicht zu schade drum gewesen wäre, wäre er wenig weiter als dokumentiert liegengeblieben, brachte es aber nicht über's Herz.
Fazit: Easyjet ist der neue Messias und sobald die Linie steht, finden verlängerte Wochenenden vermehrt in Rulien statt.

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