Donnerstag, 2. Oktober 2008

Ich bin auch ein Faschist

Im Vorfeld des von Zürcher Seite lange erwarteten Duells zwischen dem FCZ und der AC Mailand und dem Aufleben nostalgischer fussballerischer Gefühle und Momente in der Limmatstadt sorgte ein Interview des derzeitigen italienischen Stammtorhüters der Domstädter, Christian Abbiati, sowohl in Italien wie auch im restlichen Europa für nicht wenig Furore.
In der Samstagsbeilage Sportsweek der italienischen Gazzetta dello Sport, der pinkfarbenen (ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg, als das gewöhnlich-farbene Zeitungspapier ausgegangen war) und weitaus am meisten gelesenen Sport-Tageszeitung in Italien, beglückte Abbiati seine schwarzhemdigen Genossen in einem nostalgischen Interview mit dem Geständnis, er erachte sich als Faschist. Schliesslich seien ja nicht alle Züge des italienischen und totalitären Systems so negativ gewesen. Der Faschismus finde für ihn gerade durch den Heimatbegriff, die Verbundenheit zur katholischen Religion, die durch ihn hergestellte Ordnung und Gewährleistung der Sicherheit für seine Bürger Gefallen und Überzeugung. Hingegen sei für ihn die Allianz zu Hitler, der Kriegseintritt und die Rassengesetze verwerflich und mit seiner Überzeugung nicht vereinbar.
Vielleicht ist sich bei solchen Gelegenheiten vor Augen zu führen, dass Fussballer in sehr wenigen Fällen den politischen Bildungsgrad eines Ivan Ergic (FCB) erreichen und das Verweilen auf Wiesen, im Mannschaftsbus sowie vor Playstations während rund 25 Jahren einer Sportkarriere durchaus seine Spuren zeitigen kann. Und dennoch ist es verwunderlich, wie ungebildet und mediengeil eine Person sein kann, wenn er bezüglich des italienischen Faschismus die Schattenseite der wie von Abbiati gelobten "Ordnung" und "Sicherheit" mit den damals gängigen Repressalien von Zwangsmassnahmen wie Tötungen, Einsperrung in Verliesen, Verbannung etc. nicht in Verbindung bringen kann. Ein einziger Blick in ein Geschichtsbuch würde bereits solche Zusammenhänge offenbaren, was ja bei all der Freizeit dieser Athleten ja verlangt werden kann, bevor man sich in einem Interview in Gefilde begibt, die man nur schemenhaft kennt. Der Faschismus war nur schwer von brachialer Gewalt und den erwähnten Zwängen zu trennen. Das Traurige ist, wenn man italienische Blogforen querliest, finden sich schockierend viele Stellungnahmen, welche die Position von Abbiati wiederspiegeln und auf die derzeitigen, teilweise chaotischen und gesetzlosen Zustände der italienischen Gesellschaft verweisen. Diese Tatsache ist fast noch frappanter wie die eigentliche Aussage eines wohl ignoranten Torhüters.
In Italien sind die Bilder und Aussagen von Exponenten des Sportuniversums im Hinblick auf die Verherrlichung des Faschismus keine Neuigkeit. Die Bilder (siehe untenstehend) von Paolo Di Canio, dem langjährigen Laziospieler und ebenfalls bekennendem Faschisten, der seinen Anhängern regelmässig den "römischen" Gruss zeigte, sind leider bekannt. So auch Italiens bester Torhüter seit Dino Zoff, Gianluigi Buffon, der in seinen Jugendjahren in Parma ein Shirt zum Besten gab, das mit "Boia chi molla" (wehe, wer aufgibt) einen bekannten Slogan einer neufaschistischen Organisation demonstrierte (sich danach aber dafür entschuldigte...). Und so liessen sich über Suchmaschinen verschiedene andere "Ausrutscher" von italienischen Sportlern finden.
Walter De Gregorio, unlängst Sport-Chefredaktor beim Blick, hat für Abbiati's zerebralen Aussetzer am 29. September 2008 eine treffende Kolumne verfasst, welche folgendermassen lautete:
Wer nicht reden wollte, der musste kacken. So sehr, dass er regelrecht austrocknete, wenn die faschistische Polizei ihm Rizinusöl in den Rachen leerte. Das Öl wird natürlich gewonnen und dient als Abführmittel. In den Dreissigerjahren war es ein beliebtes Folterinstrument; viele Gegner von Mussolinis Regime haben sich wortwörtlich zu Tode geschissen.

Wer die Tortur vermied und ein erzwungenes Geständnis ablegte, landete im Straflager, was die Überlebenschance nur minim erhöhte. Oder er wurde nach einem Scheinprozess exekutiert, was ihm zumindest die Folter ersparte. Wir reden hier nicht von Kinderschändern und Massenmördern, sondern von Frauen und Männern, die das Pech hatten, im faschistischen Italien unbequeme Fragen gestellt zu haben.

Ruhe und Ordnung, das sei es, was er am Faschismus bewundere, sagt Milan-Goalie Christian Abbiati. Was er verwerfe, seien die faschistischen Rassengesetze, die Allianz mit Hitler und Mussolinis Kriege. Dummerweise kann man das eine nicht vom anderen trennen. Kann man Hitler als grossen Baumeister deutscher Autobahnen loben? Musste denn Mussolini grad Diktator werden, um pünktliche Züge zu garantieren? Bahnhofsvorstand hätte doch auch gereicht.

Den Preis, den Italien für Mussolinis Ruhe und Ordnung zahlte, ist allen bekannt, ausser Abbiati, offensichtlich.
Muss er das als Profi denn wissen? Reicht es nicht, Tore zu verhindern? Reicht nicht, nein. Sein Glück: Es herrscht jetzt zwar wieder etwas mehr Chaos als zu Mus­solinis Zeiten, dafür kann er sagen,was er will. Wäre es anders, es gäbe Rizinusöl statt Pausentee. Zumindest, bis er – um im Bild zu bleiben – die Scheisse rausgekackt hat, die er in seinem Hirn hat.

Die Gnade der späten Geburt mag es geben, nicht jene der Ignoranz. Auch nicht für Profi-Fussballer.
Die Zürcher Fans (traditionell eher im linken Politspektrum) haben sich jedenfalls Abbiati bereits vorgeknöpft und am späten Mittwoch Abend während des abgeschirmten Abschlusstraining der AC Mailand im Letzigrund den Torhüter mit einem Spruchband massiv beschimpft: "Zurigo ricorda le vittime del fascismo. Abbiati bastardo. (Zürich gedenkt der Opfer des Faschismus. Abbiati, Du Bastard). Das Transparent war von Eindringlingen begleitet, welche so das Training störten und von Stewards behelligt dann das Weite suchten. Abbiati jedenfalls machte gute Miene zum schlechten Spiel und sagte aus, diese Episode berühre ihn nicht im Geringsten...

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