Wenige Statements, zwecks Diversifikation und Inanspruchnahme einer seit Unzeiten angekündigten und einer längst überfälligen Replik zum aktuellen und in jüdischen Kreisen doch ziemlich kontroversen NZZ-Folio. Kontrovers ist es vor allem, weil die nichtjüdische Umgebung in ihren smalltalkenden, bürgerlichen zug- und tramfahrenden Pendler-, Wartezimmer-, Migrosschlangen- und Coffeeshop-Intellektuellen sich mehrheitlich mit pausbäckischen Kommentaren wie "isch äh mal interessant z'gseh, wie das bi dene gaht und wie die denked!" zu Protokoll gaben. Zu denken, man liesse sich auf einzelne Aussagen von ausgewählten Interviewter reduzieren, ist doch ziemlich simplizistisch und verallgemeinernd. Kein Jude in der Schweiz will sich eben als Paradejude unter einer gewissen Aussage abgestempelt sehen (zumal schon so genügend Vorurteile kursieren), sodass ich die konkrete Befürchtung hege, die Aussagen im Folio seien vielfach in der Umwelt als bare Münzen genommen worden und nicht als einzelne Meinungen in einem Meer verschiedener Individuen (wie auch in der Umwelt jeder nur für sich sprechen kann, es sei denn er sei beauftragt worden).
Womit wir ziemlich gerade aus auf dieses humoristisch sehr wohl gemeinte, dann aber auch sehr fragwürdige, "Märchen" von Yves Kugelmann zusteuern, besagend dass die Lösung aller jüdischen Probleme in dieser Welt der Aufbau eines zweiten jüdischen Staats ist. Die Raoul Schütz-Generation hätte die zwei Seiten etwas weniger umständlich wohl so umschrieben: So wie Israel, kännsch? Also ich meine jüdisch, also nein, schon jüdisch, aber einfach ohne Probleme. Weisch, also schon jüdisch, aber wie so irgendwie ohne Religion. Und dies in einem schwerlich differenzierbaren Aufbau tausender in loser Reihenfolge übereinander gestapelter Substantive. Der Gedanke ist doch ziemlich konfus, kann man doch nicht einfach das Game over-Try again-Prinzip anwenden, zumal dies Idee eines Neubeginnsauf der Basis der jetzigen Sachlage einen sicheren Untergang Israels mit seinem gesamten kulturellen Erbe und seiner emotionsgeladenen Geschichte prognostiziert. Man ist ja auch nicht beim Ski-Challenge (bitte sagt mir, dass Ihr noch nicht süchtig danach seid), wo man bei einer Zwischenzeit von 1:57:08 und mitten im Rennen merkt, dass man die Bestzeit sicher nicht mehr schlagen kann und alsdann abbricht , um einen weiteren Versuch (oder bis um 04:00 Uhr morgens dreihundert) zu starten. Try again halt. Und für Zürcher erst recht unverständlich ist die schon fast mystisch anmutende Vermutung, dass diese neue Apokalypse ihren Ursprung ausgerechnet in Basel haben sollte. "Warum nicht", fragt der Autor. Warum ja? Oder wollen wir unsere Basis wirklich an einem Ort aufbauen, zu welchem wir keinerlei emotionalen Bezug aufweisen? Oder hatte Eichmann oder etwa wirklich doch Recht mit seinen angeblichen Zwangsumsetzungsplänen für 4 Mio. Juden nach Madagaskar? Wussten es unsere Schlächter wirklich besser als unsere eigenen Idealisten?
Aber vielleicht mute ich der nichtjüdischen Leserschaft des NZZ-Folios doch etwas zu wenig zu. Vielleicht hat sie ja auch sehr wohl verstanden, dass es sich bei diesem Text eines jüdischen Schreibers um einen künstlerischen und nicht ganz ernsthaften Essay auf der traumwandlerischen Spur handelt und nicht darum, dass jemand sich wirklich (siehe Bild im Folio) an den Balkon des Hotels Drei Könige in Basel stellt und (auch bildlich) kurz mal so tut, als sei er Herzl. Denn Israel ist heute nicht einfach ein verrückter Rastafari-Gedanke aus der Karibik und vor allem auch keine alternative Erlösungsvision aus dem Diaspora-Denken, sondern für viele von uns, egal wie weit oder wie nahe sie dem zionistischen Gedankengut stehen, ganz einfach Teil unser aller Realität, die uns bedrückt, beängstigt, mit welchem wir uns freuen und inzwischen in einer schon fast physischen Verwandtschaft unzertrennbar verwoben sind.
Es ist eben wirklich kein Märchen, sondern wir stehen mittendrin. Und hinten raus geht's nicht mehr, wie in Echt halt...
1 Kommentar:
1. ich denke, dass 80% der leser das nicht einmal im ansatz verstanden haben. die gefahr der verallgemeinerung dieser im folio erwähnten aussagen, stellen für mich aber schon einen sorgepunkt dar. denn für den brotwörscht-goj gibt es nur zweierlei juden: die mit em komische gwändli und de löckli. und die normale. die diversitaet von 10 meinungen unter neun juden sieht ein goj nicht.
schade eigentlich
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