Dienstag, 5. April 2011

Marokko - Zwischen Antike und Moderne, zwischen 11. September und Feinstaub

In Anbetracht der politischen Veränderungen in Nordafrika und dem Nahen Osten, hat sich unser Afrika- Korrespondent G. Tripolensis, via Lampedusa auf den Weg nach Marokko gemacht. Sehr glücklich sind wir, dass er den Weg zurück auch wieder gefunden hat und wohlauf im Lande ist.

Gezeichnet von den Erlebnissen und Eindrücken dieser Reise - Tripolensis hat mich für einen Moment an Max Göldi erinnert- hat er sich für dieses Interview zur Verfügung gestellt.
Dieses wurde, Dank der Kooperation des Chübelsack- Blogs mit der JLeague Foundation für Recht und Verfassung, ermöglicht.


Schildern Sie uns bitte die aktuelle politische Ausgangslage im Nordafrikanischen.

Politisch unterscheidet sich die Lage in Marokko entscheidend von den anderen Ländern, in welchen derzeit Unruhen und Aufruhr stattfinden. Marokko ist eine Monarchie und die Bevölkerung hat eine grosse Ehre vor ihrem König. Dies ist sowohl auf dem Land wie in den Städten spürbar. Viele Lokale bezeugten, dass der König Mohamed VI. sowie sein verehrter Vater Hassan II. sich für das Land aufopferten und so viel für die Bevölkerung tue. Dennoch führt er in verschiedenen Städten Höfe und grosse Paläste, die er für einen Teil des Jahres neben seiner gewohnten Residenz in Rabat bewohnt. In vielen Kaffees und Restaurants, in welchen ein Angehöriger der Königsfamilie gespiesen hat, hängt ein Foto von ihm mit dem stolzen Inhaber. Man muss auch sagen, dass die Städte eine eindrückliche Zahl von sehr imposanten öffentlichen Gebäuden und Moscheen hat, welche ohne den königlichen Support nie derart üppig ausgefallen wären.
Die Könige waren im Übrigen immer grosse Unterstützen der religiösen Minderheiten Marokkos, so auch der Juden.

Wie lebt es sich dort als 825er?

Das Leben der Juden ist eine sehr eigenartige Geschichte. Wie in allen nordafrikanischen Ländern litten die ansässigen Juden während der Kriege in Israel an den ihnen gegenüber manifestierten Repressalien und Anfeindungen. 2003 explodierte (neben staatlichen Gebäuden und ausländischen Cafés) vor zwei jüdischen Einrichtungen Bomben. Die Attentate wurden von der Al Kaida verübt. Da sich diese zu allen israelischen Kriegen wiederholten, entschied sich die breite Mehrheit der judäischen Volksfront zur Auswanderung. Kanada, Frankreich und Israel erfuhren so eine grosse Einwanderungen und zählen heute eine sehr breite marokkanisch-jüdische Bevölkerung. Casablanca zählt heute noch vielleicht 4'000 Juden. Vor 1950 waren es deutlich über 200'000. In anderen Städten sind leider nur noch sehr imposante jüdische Friedhofe und in Orten wie Fes, Essaouira und Marrakesch auch eine Synagoge zu finden. Fes beispielsweise wird heute noch von 80 Juden bewohnt, die es jeden Shabbat schaffen, zwei Minjanim zu stellen. Leider sind diese Juden aber zumeist 50 Jahre alt und darüber. Die jüngere Generation bzw. deren Kinder sind alle in die oben genannten Länder ausgereist und kommen für die Feiertage zurück, wenn's hoch kommt. Viele marokkanische Juden kommen regelmässig für Hilloulas oder die Verehrung von Gräbern vergangener Koryphäen zurück oder verbringen die Feiertage in idyllischen Orten wie Marrakesch.
Viele Städte haben in ihrem historischen Kern einen Mellah, vom hebräischen Wort für Salz abgeleitet, da viele Juden Händler waren und auf dem Markt ihre Ware anpriesen. In diesen Mellahs ist leider wenig bis nichts Jüdisches mehr zu finden.

Wurde das Rad und die Glühbirne dort bereits erfindet?

Eines der eindrücklichsten Dinge in Marokko ist die Gegensätzlichkeit zwischen imposanten Gebäuden, Palästen und Moscheen einerseits und der Armut andererseits. Vielerorts wird gebettelt, in den Strassen führen Behinderte einen Lautsprecher mit religiösem Inhalt spazieren oder starren an Ecken ins Leere - mit ausgestreckter Hand. Lokale erzählten uns zudem, dass viele ihre Besitztümer auf dem Land und die tägliche Arbeit aufgegeben hätten, um in der Stadt zu leben. Auch wenn dies bedeute, dass sie für ihren Lebensunterhalt betteln müssten.
Die Städte sind eigentlich in einem mediterranen Sinn sehr modern. Die BMW's und VW's fahren auch hier auf runden Rädern und es gibt ein breites Bewusstsein für die Besucher des Landes, sprich überall wird kopierte Ware feilgeboten bzw. Ware, welche mal von einem Lastwagen gefallen sein muss. Auf dem Land gibt es Platz für das klischierte Bild Marokkos. Esel, Schubkarren, Schafe überqueren die Strassen, Strassen in schlechten bis keinem Zustand (inzwischen aber fast immer geteert). Auch Glühbirnen konnte ich entdecken, jedoch leider keine farbigen und keine hängenden. Schade, eigentlich.

Arbeiten die Leute dort etwas mit Computer oder in Real Estate?

Erstaunlicherweise leider nicht. Laydder. Viele gehen noch sehr bodenständigen und konkreten Tätigkeiten nach, sprich sie sind Händler, Importeure oder lassen Waren in Marokko verarbeiten, weil die Arbeitskraft hier günstiger ist. Oder sie verkaufen Schmattes.

Sehen sie Zusammenhänge zwischen der politischen Ausgangslage, dem 11. September, der Klimaerwärmung und dem Feinstaub?

Hierfür müsste man eigentlich fast ein akademisches Auslandjahr mit einem Stipendium vom Albert Stahel-Institut absolvieren. Dies sind Zusammenhänge, welche sich von blossem Auge und in knapp einer Woche nicht so deutlich herauskristallisieren lassen. Das Klima war jedenfalls warm genug (teils bis 36° C), sodass man sich kaum noch vorstellen, dass im Sommer an solchen Orten wirklich bis zu 54°C herrschen oder eine Person das Bedürfnis verspüren sollte, in die Sahara zu fahren. Eines etwas kühleren Abends aber haben wir einen Minivan voller Ötzis in einem Restaurant getroffen, die eben von einer Kameltour in der Sahara zurückkehrte. Sie sahen aus, als hätte der Sand alle Körperöffnungen verschlossen, sodass sie nicht das Bedürfnis einer gepflegten Unterhaltung manifestierten. Viele hatten noch ihre türkisen Turban und die Kamel-Fasching-Verkleidung an, was in Kombination mit osteuropäischen Attributen wie Almbart, Stockerlgesicht, Maurer-Werbeshirt und Vorarlberg-Villiger-Zwirbelschnauz ziemlich kauzig aussah. Wie auch immer. Mich fragt ja auch niemand, ob meine Nase in einem globalen Kontext vertretbar ist, von da her soll doch jeder tun, was er für das Gesündeste hält.

Hat es während der Reise Rücktritte gegeben?

Ich habe aufmerksam gelauscht, konnte aber nichts feststellen. Ich habe mal im Bus von 15 bis 17 Uhr das Handbuch über Vor- und Rücktritte gelesen, das hat aber keine Sau interessiert. Also easy.

Besten Dank für die aufschlussreichen Erläuterungen.

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