Sonntag, 6. April 2008

Die Grenzen von Kibbud Av VaEm


Verschiedene interaktive Medien in Israel führen Kanäle, welche als religiöse "Ask the Rabbi"-artige Anlaufstellen die Möglichkeit bieten, sich mit Anfragen orthodoxen bzw. orthopraxen Hintergrundes an Obrigkeiten zu wenden.
Vor ein paar Monaten machte in der JBlog-Sphäre eine Berichte-Serie die Runde, worin von den meist unangesprochenen Überschneidungspunkten zwischen der Ultra-Orthodoxie und Jugend als Opfer von sexueller oder körperlicher Gewalt die Rede war (Google findet relevante Texte unter Eingabe der entsprechenden Suchbegriffe in den Hunderttausenden). Unter anderem fand sich dabei die Aussage eines Sozialarbeiters eines Zentrums für Kinderopfer häuslicher Gewalt in Israel, welcher aussagte, auffallend viele der bei ihm Unterschlupf findenden Kinder entstammten orthodoxen Kreisen.
Letzte Woche fand sich auf www.nrg.co.il eine entsprechende Anfrage einer inzwischen erwachsenen, laizistischen Frau, ob die Verpflichtung der mütterlichen und väterlichen Ehrerweisung auch bestehe, wenn der betreffende Elternteil sich in physischer und psychischer Gewalt gegenüber Kindern - oder wie in ihrem Fall auch der Kindsmutter - übe. Die Gewaltsausübung erfolgte bemerkenswerterweise im betroffenen Fall auch durch verbale Impertinenzien. Rav Yuval Sherlo, Rosh Yeshiva der Hesder-Yeshiva von Petach Tikva hat hierauf eine Antwort verfasst, in welcher er (gekürzt und in freier Übersetzung) Folgendes äusserte:

Es schmerzt auch uns, Deinen Schilderungen zu folgen und diese zu lesen. Leider sprechen wir hier von einer sehr verbreiteten Realität, welche sehr schwierig zu behandeln ist. Allgemein ist in Familiensachen sehr sorgfältig und vorsichtig vorzugehen, um einerseits Beteiligte nicht zu verletzen und auf der anderen Seite sich selbst nicht aufzugeben.
Eines der ersten halachischen Prinzipe lautet "Das Deinige geht jedem anderen vor". Dies mag sehr egoistisch tönen. Wir werden einerseits dazu erzogen, gegenüber anderen immer Gutes zu tun (Gmilut Chassadim) und uns gegenüber der Aussenwelt zu öffnen. Vorher aber liegt es an uns, die eigene Identität und Einheit zu stärken.
Deshalb ist es auch nicht als Deine Pflicht zu betrachten, einen Prozess von Erniedrigung und Peinigungen zu durchgehen. Auch wenn es um Kibbud Av Vaem geht und Deine Situation es nicht ermöglicht, dieses allzu wichtige Prinzip anzuwenden: Du bist in diesem Fall nicht dazu verpflichtet. Es ist auf anderer Seite wichtig, dass Du - unter der angebotenen Hilfe Deiner Kinder - Deiner Mutter die notwendige Unterstützung anbieten kannst. Du kannst Deinem Vater Bedingungen für Deine Besuchabstattungen im elterlichen Haus auferlegen. Du kannst Deine Mutter - und ausschliesslich sie - einladen, vermehrt Zeit bei Dir zu Hause zu verbringen.
Auch wenn Dir dieser Weg vielleicht beschwerlich scheint - Du würdest das Richtige tun. Oftmals ist es gerade eine verstärkte Wirbelsäule und eine Abstützung auf das Prinzip von "Deines vor den Anderen", welches Dir die notwendige Kraft verleiht, Dein eigenes Gebiet, Deine Unabhängigkeit und die Kraft Deiner Eigenheit abzustecken. Du sollst diesen Weg begehen und ich glaube, so tust Du das Beste.

Viele von uns erinnern sich vielleicht an die narrativen Bände "Auf den Wegen unserer Weisen", wo u. a. die beispielhafte Erzählung zu finden war, nach welcher ein Rabbi einmal seine Mutter auf seinen Handflächen nach Hause gehen liess, weil ihr die Schuhe kaputt gegangen waren. Die Unterscheidung zu den obig geschilderten Umständen ist wohl nicht in allen Fällen sehr einfach und wahrscheinlich ist der von Rav Sherlo angezeigte Weg nicht unumstritten. Die dogmatische Erkenntnis, vorerst auf die eigene Gesundheit zu achten, bevor Gmilut Chassadim geübt wird, ist sicher ein Schritt.

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