Sonntag, 10. Februar 2008

Alles zur stillen Revolution im Koscher-Käse

Bekanntlich gibt es in der Koscher Käse-Debatte ja grundsätzlich verschiedene Fraktionen. Die einen stehen nur auf Milcherzeugnisse, welche unter rabbinischer Aufsicht entstanden sind, auch genannt die Chalav Israelis, oder ähnlich. Andere hingegen, darunter viele Individuen, welchen der Käse, welchen sie zweimal im Jahr aus Frankreich und einem dortigen Koscher-Shop importiert und sukzessive eingefroren haben, zu rezent und stinkig wird, und welche vielleicht zusätzlich der unsäglichen, arbeitenden und, Gott behüte, vielleicht sogar der pendelnden Spezies der Zweibeiner angehören, welche zu konvenierenden Zeiten nicht den Weg in einen hiesigen Koscher-Shop finden, sind auf die Verwendung einer Koscherliste angewiesen. Die Koscher-Verpflegung in der Deutschschweiz wird von der IGFKL, einer Institution des Schweizerisch-Jüdischen Gemeindebundes, gewährleistet . Diese kontrolliert auch die Speisen, welche ihren Weg auf die Koscherliste finden, nach mehr oder weniger transparenten Kriterien. Zwischendurch werden immer wieder ketzerische Unkenrufe nach fehlender Logik im Kontrolleprozedere von Esswaren laut, die darauf folgende Antwort lautet aber regelmässig, man könne auch Vorschläge für zu kontrollierende Speisen anbringen.
(Klammer: In der Deutschschweiz ist genau eine Person, eine einzige Person, für die effektiven Kontrollen von Produktionsstätten und deren Erzeugnisse zuständig. So etwas nennt man einen eklatanten strukturellen Mangel.)

Auf eben dieser Koscherliste befinden sich auch verschiedene Käsesorten, je nachdem ob man einen Chalav Israel-Variante, also eine Käse-nur-mit-Aufsicht-Variante präferiert (ICZ-Koscherliste). Neuerdings wurde auch hier im CC-Blog die Neuaufnahme von Paprika-Chips und Paprika-Snacketti als absolut revolutionären Akt der Auflehnung gegen das Altertum und die Pest des Mittelalters gefeiert. Jetzt wird alles besser, wenn nicht sogar sehr gut.
Neuerdings werden wie erwähnt auch Stimmen halblaut, welche eine genauere und umfassendere Produktekontrolle und eine gehörige Kommunikation dessen zugunsten der JKonsumenten fordern (Die Änderung in der Produktion von Paprika-Chips könne ja nicht von gestern auf heute so einschneidend gewesen sein. Und was denn mit alten Packungen passiere, ab welchem Datum man diese konsumieren dürfe, etc.).
Höhepunkt dieser Munkeleien und Arba-Ames-Revolutionsgelüsten erfolgte diese Woche, als plötzlich und aus dem Nichts eine Liste des Lebensmittelherstellers Emmi auftauchte, welche auf zwei Seiten detailliert auflisten konnte, welche Käsesorten nun tierisches Lab aufweisen und welche nicht. Zur Auffrischung: Tierisches Lab enthält ein Enzym, das zur Festigung von Käsesorten verwendet wird und in vielerlei Hartkäse Verwendung findet. In gewissen Weichkäse-Sorten wird zudem Gelatine (tierischer Abstammung) verwendet. Zu den materiellen Einwänden haben die Rabbinate über die Jahrhunderte der Koscher-Praxis auch eine soziale Komponente entwickelt, wonach Juden ihren eigenen Käse konsumieren sollten (passt wohl auch übertragen wie die Faust aufs Auge).
Jedenfalls öffnet diese neue Liste für diejenigen, welche sich lediglich auf materielle Koscherness stützen wollen, neue Welten. Plötzlich finden sich im Coop-Regal Juwelen wie den Luzerner Rahmkäse oder den 3/4-M-Budgetkäse von ungeahnter Qualität und die Welt riecht jetzt nicht mehr nur nach Paprika, sondern auch nach gutem Käse! Wohlbemerkt, diese Käsesorten haben noch keinen Eingang in eine Koscherliste gefunden, aber dies soll ein Anfang sein.
Im Zuge weiterer Abklärungen der CC-Redaktion wurde abgeklärt, dass auch die Migros verschiedene eigene Produkte führt, welche ohne tierischem Lab hergestellt werden. Darunter fallen alle Käsesorten, welche von der Firma ELSA produziert werden, welche durchwegs mit mikrobiellem und folglich künstlichem Lab operieren. Darunter befindet sich mit einem kaum zu überbietendem Getöse auch koscherer Fonduekäse. (Zur Erinnerung: Explizit und hochoffiziell deklarierter, koscherer Fonduekäse zieht entweder Fäden wie Spaghetti, schmeckt zumeist bestenfalls nach gar nichts und erfordert zwecks Magenverträglichkeit den Konsum von irrational hohen Mengen an hochprozentigen Schnaps.)
Es wäre wirklich von grossem Nutzen, wenn diese nicht-offiziellen und natürlich nur hinter vorgehaltenen Hand und höchst pragmatischen Gedanken bald auch von den hochoffiziellen Stempelgebern und Listenerstellern aufgenommen würden und die Veröffentlichung in den entsprechenden Publikationen geprüft wird. Im Sinne eines aktuellen und glaubwürdigen Service Public's (gilt im Übrigen auch für die leidige Zürcher Eiruv-Diskussion, welche zuletzt von der TIZ lanciert wurde und ebenso wie die vorherigen Bestrebungen bedauerlich zu versanden scheint).
Edith meint, dass auf Hinweis unseres Revolutions-compañeros Longus auch ein Artikel der saldo-Zeitschrift (kostenpflichtiger Download) ins Feld zu führen sei, wonach bekanntlich auch in Patisserie-Artikeln allgemein zumeist Gelatine und andere widerliche Schlachtabfälle Eingang fänden. So werde auch in Süessmost und Weinen Gelatine beigemischt, um die Getränke der trüben Farbe zu erleichtern. Wäk. Jedenfalls scheint es nun, dass die Coop auf das Problem sensibilisiert sei und angekündigt hat, bis März 2008 80 % der Torten und Patisserie ohne fleischliche Bestandteile in den Verkauf zu geben. CC hofft auf eine weitere Sensibilisierung und erst recht auf eine saftige Schwarzwäldertorte ohne Parve-Rahm. Die Behörden und die IGFKL sind gefordert sein, und der (J)Konsument dürfte bereits erste Jubelschreie von sich geben.

2 Kommentare:

Lino hat gesagt…

Sehr interessant, aber mit einem kleinen Nachgeschmack, denn Obermufti J.B, der das abslotue Monopol auf Koscheren Käse besitzt, wird nie zulassen dass dieser Käse auf einer Koscherliste Platz findet. Aber probieren kann man es immer.

Gonzalez Tripolensis hat gesagt…

Im Sinne eines Updates sei noch angemerkt, dass ich - nach einer weiteren eher ernüchternden Suche in Migros, Coop und Denner - eben mit Herrn Lohner von der Emmi gesprochen habe. Er hat gesagt, dass die Käse-Sorten v.a. an Migros, Coop und Denner verkauft werden, diese aber dann oft mit anderen Namen oder Marken überklebt werden (oftmals als Eigenproduktion deklariert), weshalb viele von diesen Käsesorten nicht wie in der Liste bezeichnet zu finden sind. Lohner aber sagte, dass er mit der Marketing-Abteilung zusammen an einer Lösung arbeiten werde. Das Echo erstaune ihn jedenfalls, anscheinend sei effektiv ein grosser Bedarf vorhanden.
Wir bleiben jedenfalls dran!