Gonzens waren unlängst zu Besuch in der Stadt der Liebe. Und das nicht mal um ihrer selbst Willen, sondern um die Liebe von Anderen zu beglückwünschen. So sei’s. Man steigt am Freitag Mittag einer Parade-Stresseinlage in ein Flugzeug, als sei man so ein Wochentagspendler, kommt in Paris an, findet im besten Oktober-Nieselregen sein Hotel und stürzt gerade so in den Shabbes. Hotel? Na ja, für Paris bezahlt man so seinen Preis, und der ist auch für moderat-bescheidene Bleiben dennoch nicht sehr unprätentiös. Wie dem auch sei. Man gönnt sich ja sonst nichts; oder fast nichts.
Freitag Abend also an der Rue Buffault in der portugiesisch-spanischen Synagoge gelandet, einer Gebetesstätte des Göttlichen Kitschs. Der Rabbiner ist auch ein Pfrabbiner, spricht am Freitag Abend geschlagene 15 Minuten von einer Redenkanzel. Der Aron haKodesh ist mit ca. 613 Meter hohen purpurnen Samt-Vorhängen bestückt, der Emporenbalkon des Arons sowie die ganzen Gänge mit einem ebensolchen Teppich. In der Mitte die Bimah mit viel Blingbling, Glanz und Schein. So. Und die Frauen? Die sitzen - wenn sie wollen - oben in den ersten Stock. Oder aber sie setzen sich auf diese seltsamen seitlichen Plätze, die fast einen Brügglifeld-Seitentribünen-Groove vermitteln (mit dem klitzekleinen Unterschied, dass Paris im Gegensatz zu Aarau eine Disco hat) und durchbohren die Männer mit prüfendem Blick während des ganzen Dawenens. Das Dawenen an sich ist auch nicht ohne. Der Chasan (Akustik durch Pringles-Mimik untermalend) steht mitten auf der Bimah und singt in Abwechslung mit erlaucht-erwählten Junioren-„Talenten“. Ganz vorne steht noch so einer mit Toga und Börni San-Hut, welcher aber nur Kaddeishim vorsagen darf, singt aber auch nicht übel. Herzstück der Kabbalat Shabbat bildet aber ein drei-bis-vier-köpfiger Männerchor, davon drei mit Anzug und Fliege und einer in Jeans und Kapuzenpulli, deren Qualifikationen ich hier mal nicht zu beurteilen wage. Der Kapuziner jedenfalls hatte sicher vor allem andere Stärken. Eine war es beispielsweise, die Endsilben jeder Einlage (obschon er vorher nicht ein Wort richtig ausgesprochen hatte) mir expressis vocis voll ins Ohr zu gargeln, was ich natürlich in meiner üblichen Vor-Shabbes-Schlaftrunkenheit ungemein zu schätzen wusste. Ungemein. Zu erwähnen bleiben in Frankreich dann natürlich auch die Gabbaim. Die führen einen speziellen Anzug und einen wahrhaften, geschwungenen und ornierten Napoleon-Hut spazieren, im Andenken dessen, dass
Napoleon den französischen „Consistoire Central des Israelites“ (a.k.a. den frz. SIG) gegründet hatte. Auch gut.
Der Abend ging dann irgendwo zwischen marrokanischem Couscous, israelischen Wein und saftigen Früchten zu Ende.
Shabbes Morgen dann Akt II an der Rue Buffault, wieder ein sfardisches Dawen-Spektakel, wobei man sich vorsorglich mit den Gebetszeiten auseinandergesetzt hatte, entsprechend spät aufkreuzte und zudem Verstärkung in personam Tanelchens und seiner Versprochenen geniessen durfte.
Anschliessend solitär-elitärer Spaziergang durch Montmartre, Sacré Coeur und spektakulärer Ausblick auf den Eiffelturm und gemütlicher Ausklang des Siebten Tages.
Wie vereinbart gab man sich dann einen Höhepunkt koscherer Kulinarik in Paris, welcher an dieser Stelle wärmstens empfohlen wird: Besuch des
Restaurants "Darjeeling". Vor der Türe merkt man nicht mal, ob man wirklich am richtigen Ort ist, dezente Platzierung der Mesusa und keine Leuchtraketen um den Hechsher. Dafür leuchtet das Restaurant in orange, gelungener Farbe und typisch indischen Ornamenten und einer gut getroffener Lautstärke der passenden Hintergrundmusik. Die Menüs machen Angst, weil man etwa eine Stunde braucht, bis man alles gelesen hat (darunter auch ein geschichtlicher Abriss über Indien und seine Juden), Vorspeisen bis zum Umfallen, Dal, Naan und Curries soweit das Auge reicht. Für die schwachen Phasen des Gurens hat es eine ganze Seite Vegetarisches, ansonsten alles Mögliche mit wenig Rind, viel Poulet und exquisitem Lamm. Und dazu natürlich eine koschere Weinkarte, deren Inhalt in Zürich teils nicht mal im Laden so preiswert ist. In Kürze: Man hatte sich vorgenommen, nicht zu viel zu essen, weil die eigentliche Hochzeit noch bevorstand. Und scheiterte kläglich und hochkant. Ein Feuerwerk und ein absolutes Muss für jeden heimischen Paris-Besucher (angeblich gehen nicht-jüdische Inder ins Darjeeling, wenn sie in Paris essen wollen wie zuhause - ein Merkmal, das sich die koscheren Institutionen in der Schweiz mal qualitätsmässig vor Augen führen möchten).
Der Rest ist schnell erzählt. Man wünscht jedem Schweizer Juden, mal an einem Sonntag an der Rue de Rosiers vorbeizuschlendern und Falaffel- und Shwarmastände mit einer Schlange draussen zu bewundern, welche die monatliche Anzahl Besucher bei Van Djik in den Schatten stellen. Da stehen Myriaden von Ladenbesitzer draussen auf der Strasse, drücken Dir nach Bezahlung eine Quittung in die Hand und Du gehst dann hin und holst Dir an der Aussentheke Deine Bratkuh ab. Wahnsinn (und wiederum: bei Weitem nicht nur Vertreter der Volksfront von Judäa). Mal ganz abgesehen davon, dass das Quartier für Flanierer und sonstige Vorigzeithabende etwas vom Angenehmsten in dieser Art in Europa ist.
Der Rest ist dann ziemlich schnell erzählt. Hochzeit, sehr schmackhaft gestopfte Gänse (aller Art), die spontane Yareach-Einlage und viele Lechayims vor einer viel zu kurzen Nacht mit anschliessender Katze und der Supergau, welcher natürlich nicht fehlen durfte: Um 13:27 Login am Arbeitsplatz.