Samstag, 21. Juli 2012

In tiefer Trauer

Treffender kann man ihn kaum beschreiben. Dem Schreibenden selbst fehlen die Worte. Eine grossartige Würdigung von Yves Kugelmann (aus Tachles Nr. 29, 2012)

Gesang. Wenn er sprach, war es wie ein Gesang. Michael Goldbergers Reden, Schiurim, Predigten waren Oden. Wer ihnen zuhörte, verspürte eine zeitlose Ruhe dieser sanften singenden Stimme. Die Worte waren nicht einfach gesprochen, sondern so phrasiert, dass im Klang die Bedeutung des Gesagten geradezu in die Seelen der Zuhörer Eingang finden konnte. Inhalt und Klang traten in Beziehung zu den Menschen, vermittelten Hoffnung, Erkenntnis, Freiheit. Am Dienstag nun konnte Michael Goldberger der Krankheit nicht mehr trotzen und entschlief nach langem und tapferem Kampf im Kreise der Familie im Alter von nur 51 Jahren. 

Wort. Michael Goldberger ist 1961 in Basel zur Welt gekommen und dort aufgewachsen. Von Anfang bis zum Schluss stellte er sich in den Dienst der Gemeinschaft, des Lernens und vor allem von Kindern und Jugendlichen. Als Madrich im Bne Akiwa Basel und Schweiz, als Jugendleiter in der Israelitischen Gemeinde Basel, als Rabbiner in Düsseldorf, als Rektor der jüdischen Schule Noam, als Familienvater und schliesslich in der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, wo er als Lehrer und seit einem Jahr als zweiter Rabbiner wirkte – stets gelangte Michael Goldberger durch die Sanftheit von Worten und Gedanken an die Menschen. In jedem Abschnitt der Thora, im Talmud und in den Midraschim fand er immer die lebensbejahende Komponente, die das Judentum mit einer tiefen humanistischen Idee verband. Integraler Bestandteil waren Klang, Melodie, Musik. Mit Gitarre und Gesang versammelte Goldberger auf Machanot, bei Ausflügen oder Onagim unter der Woche die Jugendlichen, nahm eine fast schon legendäre Platte des Bne Akiwa im Jahre 1982 auf, die den Zugang zum Judentum durch die Zartheit der Melodien und die Prägnanz der Texte in schlicht ergreifender Schönheit ermöglichte. 

Buch. Mit seinem guten Freund Marcel Lang wirkte er jahrelang als Kantor in Synagogen an den hohen Feiertagen, gab Konzerte und nahm Schallplatten auf. Beide kämpften sie mit dem gleichen Schicksal, mit der Krankheit, der sie viel zu früh erlegen sind. Noch im März veröffentlichte Michael Goldberger in Erinnerung an seinen Freund Marcel Lang zusammen mit tachles eine CD mit Liedern und Melodien zu Pessach. Für tachles und davor für die Jüdische Rundschau wirkte er fast 15 Jahre lang als Autor wöchentlicher Sidrabetrachtungen (zuletzt in tachles 23/2012). Mit seinen Basler Weggefährten Alfred Bodenheimer, David Bollag, Gabriel Strenger und später Emanuel Cohn schafften sie wöchentlich einen völlig neuen Zugang zu den Wochenabschnitten der Thora. Goldbergers letzter Wunsch war die Publikation eines Buches, welches seine überarbeiteten Sidratexte vereinte. Bis in die letzten Tage arbeitete er mit minuziöser Genauigkeit die Endfassung des Manuskripts aus. Das Buch wird im Herbst von der JM Jüdischen Medien AG publiziert. 

Quelle. Dort, wo keine Worte mehr waren, fand Michael Goldberger die richtigen. Dort, wo Trauer herrschte, durchbrach Michael Goldberger diese mit weicher Stimme, die immer Zuversicht und Kraft vermittelte. In jedem Trauerhaus, als Seelsorger und Freund, bei Abdankungen und in der Synagoge vermittelte Goldberger durch Worte das Schöne und Gute und öffnete einen völlig neuen Zugang zu jüdischen Quellen, zum Alltag und zur Gemeinschaft. Das war nicht leere Rhetorik, sondern erfülltes, gedachtes, gelebtes Judentum. Verstandenes und hinterfragtes Judentum, das nicht als Prinzip, sondern als Menschentum wirkte. Goldberger nutzte Worte als Tor zur Dimension der freien Erkenntnis, die er jedem und jeder selbst überliess. Goldbergers Spiritualität war keine im Dienst eines Programms, sondern hin zur Freiheit. In der Schule lehrte er Kinder nicht die Thora als Selbstzweck, sondern das Leben durch sie. In Schiurim entliess Goldberger die Lernenden nicht mit dogmatischen Antworten, sondern mit der Offenheit, sich auf den menschlichen Weg zu begeben. In Synagogen gelangte er immer auf Augenhöhe von Mensch zu Mensch an die Gemeinde und suchte nie Verführung durch Worte, sondern den Dialog durch Inhalte, Geschichten und neu gelebter Tradition. 

Freund. Michael Goldberger stand in der Tradition eines längst vergessenen Judentums, das durch Melodie, Gesang, durch die Wirkung der Dichtung und die Schönheit der sinnerfüllten, gelebten Worte von König David bis hin zu Shlomo Carlebach reichte. Nun ist diese Stimme für immer verstummt – und wird noch lange, lange nachklingen.

Keine Kommentare: