Dienstag, 31. Juli 2012

Olympische Review ("guest"-post)

Beshem Aumrau, wir danken dem edlen Schreiber Bol d'Or
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Geehrte Olympioniken und Olympionösen

2 Tage sind vergangen, seit die Lady in Pink die 30. Olympischen Spiele
eröffnet hat und Jaqueline Rogge alle zu Vernunft, Einheit und fairem
Wettkampf aufgefordert hat und betont, dass es die ersten Spiele sind an
welchen jedes Land auch Frauen schickt (holen die Frauen aus Saudi Arabien
keine Medaillen werden Sie gesteinigt, aber sei's drum - der olympische
Gedanke zählt: ''Dabei sein ist alles" - man erinnere an den Schwimmer aus
Äqutorialguinea oder die Schweizer Leichtathleten).

Ich möchte hier die Gelegenheit beim Benoit packen und die ersten Eindrücke
Revue passieren lassen:

Eröffnungsfeier:
Möga schön, möga originell, möga erwachse. Und als die Schweizer reinlaufen
gab es Jubel, weil die dummen Engländer dachten das Rote Kreuz stellt auch
eine Mannschaft. Mr. Bean am Klavier, die Queen als Bond-Girl (ziemlich
versauter Gedanke) und Teutonen in Reih und Glied runden eine gelungene
Puppenshow ab, gut gemacht Danny Boyle, fast so gut wie Trainspotting.

1. Tag:
Ein halbblinder Chinese gewinnt mit Weltrekord im Bogenschiessen, und ich
dachte die Paralympics starten erst nächsten Monat.
Obwohl wenn ich wiederholt die Schweizer Leichtathleten sehe bin ich fast
der Meinung, Olympia und Paralympics sind das Gleiche. Fädi ist ganz ok,
hat noch Spatzung zur Steigerung. Beachvolleyball der Frauen kommt einem
S*ftp***o gleich und würde Cancellara Stützredli benutzen, wäre er nicht
schräg sondern fadengerade in die Leitplanken gedonnert, BRAVO, echt stark
gemacht, bisch mega, 20 Tage Maillot Jaune und dann eine Rechtskurve fahren
wie Ray Charles im Lamborghini. Obwohl, er hat ja schon Gold von Peking,
logger nä.

Einschaltung: FCB zittert, FCZ erschüttert.

2. Tag:
Der Tag beginnt mit einem nasalen Wawrinka, der sich wohl dem Doppel
verschrieben hat. Möri kommt schon noch dran, da warten Tsonga und Berdych
(oder auch nicht, hats verdient der Sagg). Und Möri findets glatt das Fädi
dem Spiel im Stadion zuschaut. Leider wurde die Mörihuhr vermisst, macht
nur Halbspass ohne Sie.
Beim Frauenturnen tanzt eine Amerikanerin (Alexandra Raisman, ja ich habs
geschaut) am Boden zu Hava Nagila Hava. Entweder ist Sie eine von uns (was
der Name eigentlich verspricht) oder Ihre Eltern kommen aus Idaho und jagen
sich im Stundentakt Hava Nagila Hava rein. Fortsetzung mit Sprungübung zu
''mein Stejtele Bels'' folgt bald.
Die Secondo-Nati überzeugt überhaupt nicht und kassiert eine dumme
Niederlage gegen Park, Park, Park und Park. Nöggi macht ein Kopftor obwohl
er eigentlich einen Fallrückzieher plante, und Kasami holt die wohl
schnellste gelbe Karte eines Turniers (23 Sek, handgestoppt). Ich bin
masslos enttäuscht was die zeigen, unwürdig, lasch und asozial. Schickt
nächstes Mal die Frauennati, gibts wenigstens was zum lachen und 11 x
11.59h.
Am späten Nachmittag holt sich eine Slowakin Bronze im Tontaubenschiessen,
farrugt lässig-doofer ''Sport'', weiss nicht wie man dazu kommt ausser man
war mal Gangster in einer Bande und schiesst gerne mit einer Schrotflinte.
Aber eben, an Olympia schaut man alles.
Am späten Abend dann das Highlight: Gewichtheben der Frauen bis 56 kg. Mein
Gott, Zwerge mit mehr Testosteron als Rocco stemmen das dreifache Ihres
Gewichts hoch. Die Kasachin gewinnt und kann nach der Siegerehrung endlich
die Klöten vom Seil lösen.

In diesem Sinne, ja ich schaue jede Disziplin (ausser Landhockey, Gymnastik
und Synchronschwimmen) und bin begeistert.

Bol d'Or

Sonntag, 22. Juli 2012

Zur Beschneidungs-Debatte in der Schweiz

Diesen Sommer ist Europa zum Glück von Vogelgrippe, SARS und Rinderwahn verschont geblieben. Auch der zu jeder Zeit hoch gefährliche Feinstaub ist uns dieses Jahr nur beschränkt gefährlich geworden, weil der Sommer nicht stattfand und somit die Luft regelmässig von allem moralisch Verwerflichem gereinigt wurde. Also musste sich die Gesellschaft etwas Neues einfallen lassen: Ein zweitinstanzliches Gericht in Köln entscheidet, dass es das religiöse Selbstbestimmungsrecht eines Kindes derart hoch gewichtet, dass rituelle Beschneidungen durch die Eltern als illegal zu qualifizieren sind. Darob kriegen die Entscheidungsträger am Kinderspital in Zürich schweissige Hände und führen ab sofort und bis zum Erlass einer definitiven Direktive keine Beschneidungen mehr durch. Und selbiges zieht nun offenbar auch das Kinderspital in St. Gallen in Erwägung. Bisher konnte insbesondere bei Diskussionen, welche Israel betrafen, mit Verwunderung festgestellt werden, auf welch überbordendes Interesse der Nahostkonflikt hierzulande trifft und in wievielen Kommentaren sich die Meinung Helvetiens mannigfaltige Do it yourself-Politologen niederschlägt (u.a. in sehr qualifizierten Vergleichen und stammtisch-würdigen Aussagen). So mag es doch erstaunen, dass auch die Beschneidung von jüdischen und muslimischen Kindern, also eine Thematik, welche sich nicht alleine auf den Nahostkonflikt beschränkt, die schweizerische Bevölkerung derart bewegt, sich zu dezidiert-primitiven Aussagen hinreissen zu lassen wie "In Israel lassen sie ja beschneiden. Dann sollen die Juden doch dahin." Die Diskussion im Nachgang an die Publikation des Artikels auf der Online-Ausgabe mit zeitweise über 400 Kommentaren derart ausgeartet ist, dass mittlerweile die Kommentierfunktion ausgeschaltet werden musste und die Kommentare nicht mehr einsehbar sind (einsehbar und sinngemäss auf der Webseite von www.welt.de, http://www.welt.de/politik/deutschland/article107282733/Dieses-Urteil-wirkt-wie-eine-Diskriminierung.html). Erstaunlich ist insbesondere, wie sich heute jedermann zu einem Grundrechtsexperte und Fachkraft zur Beurteilung fremder religiöser Bräuche erküren kann und den Anspruch auf sich nimmt, sich qualifiziert zu Thematiken zu äussern, von welchen er nur mal im Internet mal den Brockhausartikel oder das Wiki quergelesen hat (beispielhafter O-Ton: "Wenn Gott das wirklich gewollt hätte, dann hätte er den Menschen schon so zur Welt gebracht"). Interessant auch, dass der Tages-Anzeiger die Diskussion inzwischen auf den Umstand lenkt, ob ein solcher Eingriff von der Krankenkasse bezahlt werde... wayne?
Die Intensität der Kommentierung dieser Angelegenheit gibt zu denken, handelt es sich unbestritten um einen Sachverhalt, welcher einen marginalen Teil der Bevölkerung betrifft. Natürlich greift die Entscheidung des Kinderspital Zürichs viel zu kurz, weil es erstens ausgefällt wird, bevor das entsprechende Urteil rechtskräftig geworden ist und zweitens eine Prozedur nicht mehr zulässt, welche nun möglicherweise nicht fachgerecht und ausserhalb von Spitälern durchgeführt wird. Zudem wird der Ausdruck der "rituellen Beschneidung" kreiert, welcher auch die Beschneidung von Frauen einschliesst, also ein eindeutig nicht identitätsstiftender, barbarischer Vorgang, welcher primär darauf abzielt, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zu unterminieren. Sodann greift auch der Entscheid des Landgerichts Köln viel zu kurz. Einerseits wird eine seit Jahrtausenden praktizierte Prozedur und feste religiöse Tradition unvermittelt als Körperverletzung qualifiziert und als nicht erlaubter Eingriff in die physische Integrität. Dass ein vegetarisches Erziehen, das Anbringen von Ohrlöchern  sowie andere Eingriffe im mutmasslichen Interesse des Kindes ebenso die physische Integrität betreffen und nicht vom Kind selbst getroffen werden, wird beiseite gelassen. Gemäss geltendem schweizer Zivilrecht entscheiden die Eltern für ein Kind bis zu seinem 14. Lebensjahr über seine religiöse Erziehung. Bei der Beschneidung handelt es sich sodann um einen Vorgang, wie er in breiten Teilen der Welt praktiziert wird (wohlbemerkt ist in den Vereinigten Staaten ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung aus medizinischer Auffassung beschnitten), in den seltensten Fällen zu Problemen führt und insbesondere jemand bitte ein Beschneidungsopfer präsentieren soll, der sich wünscht, er sei nie beschnitten worden. Auch das Argument, dass eine Beschneidung erst durchgeführt werden solle, wenn das Kind dies selbst entscheiden könne, greift viel zu kurz: An einem der schmerzhaftesten Punkte des männlichen Körpers soll mit einer Prozedur zugewartet werden, welche im fortgeschrittenen Alter viel traumatischere Spuren hinterlassen mag, als wenn sie im Alter von 8 Tagen vorgenommen wird und sich kein Kind daran erinnern wird.
So ist auch nicht nachzuvollziehen, weshalb jeder Sachverhalt der Aktualität Anlass zu einer öffentlichen Umfrage geben muss, wo sich nahezu 80% der Bevölkerung gegen die Beschneidung aussprechen (bzw. in Deutschland 45%). Was kümmert es denn Herr Kunz, ob mein Sohn beschnitten wird (bzw. um den besten Tages-Anzeiger-Kommentator zu zitieren: Was kümmert Euch mein Penis)? Auch kaum zu erklären ist, wann zum letzten Mal ein deutsches Gerichtsurteil derart umgehend Rechtswirkung in der Schweiz entfalten konnte.
So unverständlich es gelegentlich tönen mag, dass in Debatten um die Nahostpolitik der Holocaust als grösste Katastrophe in der jüdischen Geschichte als Argument Einzug findet: In der Beschneidungsdebatte geht es viel mehr als um einen Brauch. Es geht um einen identitätsstiftenden Vorgang, welcher einem männlichen Kind erst die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk verleiht. Ein Vorgang, so alt wie das Judentum selbst. Dass der (nochmals: nicht rechtskräftige) Entscheid eines Gerichts in Deutschland viele Juden beängstigt und Existenzängste schürt, ist verständlich und ernst zu nehmen.

Samstag, 21. Juli 2012

In tiefer Trauer

Treffender kann man ihn kaum beschreiben. Dem Schreibenden selbst fehlen die Worte. Eine grossartige Würdigung von Yves Kugelmann (aus Tachles Nr. 29, 2012)

Gesang. Wenn er sprach, war es wie ein Gesang. Michael Goldbergers Reden, Schiurim, Predigten waren Oden. Wer ihnen zuhörte, verspürte eine zeitlose Ruhe dieser sanften singenden Stimme. Die Worte waren nicht einfach gesprochen, sondern so phrasiert, dass im Klang die Bedeutung des Gesagten geradezu in die Seelen der Zuhörer Eingang finden konnte. Inhalt und Klang traten in Beziehung zu den Menschen, vermittelten Hoffnung, Erkenntnis, Freiheit. Am Dienstag nun konnte Michael Goldberger der Krankheit nicht mehr trotzen und entschlief nach langem und tapferem Kampf im Kreise der Familie im Alter von nur 51 Jahren. 

Wort. Michael Goldberger ist 1961 in Basel zur Welt gekommen und dort aufgewachsen. Von Anfang bis zum Schluss stellte er sich in den Dienst der Gemeinschaft, des Lernens und vor allem von Kindern und Jugendlichen. Als Madrich im Bne Akiwa Basel und Schweiz, als Jugendleiter in der Israelitischen Gemeinde Basel, als Rabbiner in Düsseldorf, als Rektor der jüdischen Schule Noam, als Familienvater und schliesslich in der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, wo er als Lehrer und seit einem Jahr als zweiter Rabbiner wirkte – stets gelangte Michael Goldberger durch die Sanftheit von Worten und Gedanken an die Menschen. In jedem Abschnitt der Thora, im Talmud und in den Midraschim fand er immer die lebensbejahende Komponente, die das Judentum mit einer tiefen humanistischen Idee verband. Integraler Bestandteil waren Klang, Melodie, Musik. Mit Gitarre und Gesang versammelte Goldberger auf Machanot, bei Ausflügen oder Onagim unter der Woche die Jugendlichen, nahm eine fast schon legendäre Platte des Bne Akiwa im Jahre 1982 auf, die den Zugang zum Judentum durch die Zartheit der Melodien und die Prägnanz der Texte in schlicht ergreifender Schönheit ermöglichte. 

Buch. Mit seinem guten Freund Marcel Lang wirkte er jahrelang als Kantor in Synagogen an den hohen Feiertagen, gab Konzerte und nahm Schallplatten auf. Beide kämpften sie mit dem gleichen Schicksal, mit der Krankheit, der sie viel zu früh erlegen sind. Noch im März veröffentlichte Michael Goldberger in Erinnerung an seinen Freund Marcel Lang zusammen mit tachles eine CD mit Liedern und Melodien zu Pessach. Für tachles und davor für die Jüdische Rundschau wirkte er fast 15 Jahre lang als Autor wöchentlicher Sidrabetrachtungen (zuletzt in tachles 23/2012). Mit seinen Basler Weggefährten Alfred Bodenheimer, David Bollag, Gabriel Strenger und später Emanuel Cohn schafften sie wöchentlich einen völlig neuen Zugang zu den Wochenabschnitten der Thora. Goldbergers letzter Wunsch war die Publikation eines Buches, welches seine überarbeiteten Sidratexte vereinte. Bis in die letzten Tage arbeitete er mit minuziöser Genauigkeit die Endfassung des Manuskripts aus. Das Buch wird im Herbst von der JM Jüdischen Medien AG publiziert. 

Quelle. Dort, wo keine Worte mehr waren, fand Michael Goldberger die richtigen. Dort, wo Trauer herrschte, durchbrach Michael Goldberger diese mit weicher Stimme, die immer Zuversicht und Kraft vermittelte. In jedem Trauerhaus, als Seelsorger und Freund, bei Abdankungen und in der Synagoge vermittelte Goldberger durch Worte das Schöne und Gute und öffnete einen völlig neuen Zugang zu jüdischen Quellen, zum Alltag und zur Gemeinschaft. Das war nicht leere Rhetorik, sondern erfülltes, gedachtes, gelebtes Judentum. Verstandenes und hinterfragtes Judentum, das nicht als Prinzip, sondern als Menschentum wirkte. Goldberger nutzte Worte als Tor zur Dimension der freien Erkenntnis, die er jedem und jeder selbst überliess. Goldbergers Spiritualität war keine im Dienst eines Programms, sondern hin zur Freiheit. In der Schule lehrte er Kinder nicht die Thora als Selbstzweck, sondern das Leben durch sie. In Schiurim entliess Goldberger die Lernenden nicht mit dogmatischen Antworten, sondern mit der Offenheit, sich auf den menschlichen Weg zu begeben. In Synagogen gelangte er immer auf Augenhöhe von Mensch zu Mensch an die Gemeinde und suchte nie Verführung durch Worte, sondern den Dialog durch Inhalte, Geschichten und neu gelebter Tradition. 

Freund. Michael Goldberger stand in der Tradition eines längst vergessenen Judentums, das durch Melodie, Gesang, durch die Wirkung der Dichtung und die Schönheit der sinnerfüllten, gelebten Worte von König David bis hin zu Shlomo Carlebach reichte. Nun ist diese Stimme für immer verstummt – und wird noch lange, lange nachklingen.