Nachdem jetzt alle wissen, was Netflix & Chill heisst, kommen hier zwei Empfehlungen.
Diese beiden Kurzserien bringen frischen Wind in die Serienlandschaft und verpflichten einen nicht gleich, 7 Staffeln über die kommenden Wochen und Monate zu schauen. Beide sind nicht unbedingt leichte Kost, aber lohnen sich auf ihre Weisen sehr.
Adolescence
Viel wurde schon geschrieben über dieses Meisterwerk. Der Plot ist kurz erzählt: Wir verfolgen die (wahre) Geschichte eines 13-jährigen Jungen, dem zur Last gelegt wird, seine Klassenkameradin umgebracht zu haben. Und wir erleben über 4 Episoden die Auswirkungen auf ihn, seine Familie, Freunde, die Schule, Gesellschaft etc.
Das oben erwähnte Wort "verfolgen" ist dabei der Schlüssel. Ich habe es erst Mitte der zweiten Folge gemerkt; jede Folge ist ein einziger Schnitt. Sie beginnt irgendwo in der Geschichte und man begleitet 1-2 Darsteller für eine Szene. Sobald die vorbei ist, folgt die Kamera einer vorbeilaufenden Person, fliegt davon oder bleibt im Raum und die Personen ändern. Was man nie sieht, ist ein Schnitt zu einer anderen Szene. Somit spielt sich auch jede Folge innerhalb ca 1h ab.
Das wirkt mitunter an der Grenze der Glaubwürdigkeit und es fühlt sich an, als ob Teile der Handlung etwas gar schnell geschehen sind. In sich ist das Konzept aber stimmig und wir kriegen hier wirklich 4 Ausschnitte aus einer langen Geschichte gezeigt. Jeder Ausschnitt mit der dazu gehörenden Stimmung, Herausforderungen etc.
Schauspieler und Szenerie ergänzen die drückende Stimmung des Themas ideal. Alles wirkt authentisch und einfach nach einer ganz "normalen" Familie, Schule etc. Und die Musik ist sehr gut gewählt; dieses emotionale Sting Cover ("Fragile") als Beispiel.
Das Ende der 4. Folge schliesst die Geschichte für den Zuschauer einigermassen ab und man wird nicht mit viel Fragen zurückgelassen.
Als Lohn fürs Fertigschauen hält die Serie einige Easter-Eggs bereit. Es gibt unzählige Videos "What you missed" etc. Nichts so relevant, dass man's nochmals schauen muss. Aber witzig/spannend, wenn man's gerade geschaut hat.
Kann gut mit dem Partner geschaut werden. Einfach emotional vorbereitet sein, v.a. wenn man selbst Kinder hat.
Eternaut
Nun wird's etwas dunkler. Diese Argentinische Serie mit historischem Hintergrund basiert auf dem gleichnamigen Comic. Geschrieben 1957 von Héctor Germán Oesterheld war der Comic lange ein Symbol für den Widerstand gegen Unterdrückung. Oesterheld galt mit seinen Publikationen als Widerstandskämpfer gegen die Militärdiktatur, was ihn und seine 4 Töchter das Leben kostete. Sie alle wurden ermordet oder verschwanden als so genannte "Desaparecidos" (ja, wie bei Manu Chao). Doch seine Comics überlebten (v.a. Eternauta) und erzählen auch heute noch die Geschichte vom Kampf gegen Unterdrückung; und erzählen von der Widerstandsfähigkeit der "normalen" Menschen. Während Corona liessen sich Menschen das Erkennungszeichen des Comics – ein Mann mit Taucherbrille – auf ihre Gesichtsmasken drucken.
Doch kommen wir zur Serie von heute. Sie basiert auf dem Comic, wurde aber leicht upgedated bzw in die Moderne geholt. Die Story bleibt aber gleich.
Die Handlung beginnt mit einer grösseren und v.a. tödlichen Umweltkatastrophe, die aus dem nichts kommt und völlig neu ist. Ein grosser Teil der Bevölkerung fällt innert Minuten einem plötzlich fallenden tödlichen Schnee zum Opfer, der jeden bei Berührung sofort umbringt; zudem funktioniert ein Grossteil der Technik nicht mehr.
In den ersten Folgen geht es in erster Linie darum, dass sich die wenigen Überlebenden zurechtfinden, organisieren etc. Im Stile von "Lord of the Flies" oder auch Filmen wie "Cube" oder "Saw" erleben wir, wie sich schnell neue soziale Strukturen bilden etc. Wer hat das Sagen? Wer hat Ressourcen? Etc. Und natürlich wenden sich die Menschen auch schnell gegeneinander.
Je länger die Serie dauert (aktuell 1 Staffel mit 6 Folgen), erfahren wir mehr, was wirklich auf der Welt passiert ist, wer die Spieler sind etc. Und die Serie entwickelt sich schliesslich zur Science Fiction Serie mit allem was dazu gehört. Und verlangt dem Zuschauer eine gewisse Offenheit ab.
Die Serie verlangt dem Zuschauer generell einiges ab, aber belohnt ihn auch.
- Vieles bleibt lang offen - dafür ist man hautnah dabei, wie die Menschen die neue Realität Schritt für Schritt entdecken.
- Das Tempo ist manchmal nicht sehr hoch - dafür kann man eindrückliche Bilder geniessen.
- Vieles ist uns nicht auf Anhieb bekannt - doch wir lernen z.B. mit Buenos Aires eine Stadt kennen, welche wir sonst aus Serien etc weniger kennen.
Zum letzte Punkt gilt zu sagen, dass es sich lohnt, die Serie im O-Ton auf Spanisch zu schauen schüsch, da die Emotionen der Schauspieler in ihrer Sprache sehr gut eingefangen werden. Auch wenn sich das Argentinische Spanisch vom uns bekannten unterscheidet, kommt man ohne allzu viel Sprachkenntnisse (auch mithlife von Untertiteln) gut mit, da die Dialoge nicht super schnell bzw kritisch sind; und viele Szenen mit wenig bzw ohne Dialog funktionieren. Natürlich steht das Ganze auch auf Englisch zur Verfügung, was auch ganz gut funktioniert.
Auf jeden Fall ist die Handlung stets spannend und nicht vorhersehbar. Und fesselt gut an den Bildschirm.
Ein weiteres Detail passend zum "Kampf der normalen Bürger": Der Hauptdarsteller ist kein klassischer Held mit Kräften etc. Er ist ein normaler Familienvater mit dem Ziel seine Familie durch diesen Sturm zu bringen. Erst langsam merkt man, dass er überhaupt der Protagonist ist. Und erst gegen Ende der 1. Staffel wird klar, dass evtl doch mehr hinter ihm steckt als wir (und er selbst) wissen.
Vorwarnung: Der Schluss der Staffel lässt Fragen offen bzw ist klar eine Vorbereitung auf Staffel 2. Die 1. Staffel deckt ca 30% des Comics ab, womit mit total 2-3 Staffeln zu rechnen ist.
Für alle, die gerne Endzeitszenarien schauen, bitzli Anti-System geniessen wollen und mit Science Fiction zumindest leben können, ein absolutes Muss.
Also los, Kinder ins Bett und Screen an.
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