Ja, wir haben gewartet, bis alles bereits vorbei ist, um grenzenlos über Pessach ablästern zu können. Aber irgendwo kommt auch der Punkt, an welchem nicht mehr alles kommentarlos angenommen werden muss, ohne diese auch effektiv beim Namen zu nennen.
Es reicht ja nicht, dass die praktischen Aspekte eines Feiertags derart Überhand nehmen, dass das menschliche Gemüt derart in Anspruch steht, dass es jegliche Wertschätzung an einem Feiertag verliert, der neben allem auch noch eine fröhliche Angelegenheit darstellen soll. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo Leute Glühbirnen nach Chametz absuchen (wie im Schweizer Fernsehen vor einigen Jahren peinlich dokumentiert worden), wo Strenggläubige für die Feiertagseinkäufe den Einkaufswagen im öffentlichen Verteiler mit Alu auslegen, der Aluminiumfetisch einen derart inflationären Auswuchs erfährt, dass Orte mit Folie abgedeckt werden, wo auch Hunde psychiatrisch betreut werden müssten, wenn sie die betreffenden Oberflächen / Objekte nach Esswaren suchen würden und wo beispielsweise rabbinisch verordnet wird, den Lavaboausguss mit Auflösungskonzentrat zu reinigen, weil darin ja auch Esswaren gen Ozean gespült werden.
Und der Gipfel kommt erst noch: In Zürich haben Pessach-Esswaren einen derart lächerlichen hohen Preis erreicht, dass dies jeglicher Logik und Begründbarkeit entbehrt. Eine Packung handbackene Schmure-Matzes kostet locker mal Fr. 50.-, für einen Liter Olivenöl werden in hiesigen Läden, ohne mit der Wimper zu zucken, einmal Fr. 27.- verlangt (!). Der gewöhnliche Liter Öl kostet derweil ca. Fr. 8.- Und die Leute gehen hin und kaufen. Warum? Weil sich beispielsweise die gemässigte ICZ nicht überwinden konnte, dieses Jahr der Pessach-Beilage (mit der alljährlich rezyklierten Stimmungsbombe mit unübertroffenem voll-cool-Titel in der Richtung von "Dänk dra dänkt oder was, impfall") auch wirklich nützliche Informationen über die dieses Jahr verfügbaren Koscher-Esswaren beizulegen. Eine effektive Pessach-Koscherliste war erst wenige Tage vor dem Feiertag selbst auf der ICZ-Homepage zu finden, also reichlich spät: ein knapp zweiseitiges Pamphlet von nur sehr beschränkten Nutzen. Niemand hat beispielsweise je verstanden, aufgrund welchen Kriteriums bis vor einigen Jahren Zahnpasten bei Verteilern alljährlich erworben werden durften, derweil seither nur noch der gestempelte Alibi-Mörtel aufzutragen. Oder warum annähernd jedes zu reinigende Objekt ein Spezialfall sein muss, der mit dem Rabbinat bilateral erörtert werden muss.
Aber was soll man denn tun, im Ausland ist es ja kein Deut besser?
Wirklich? Stiergülle. Die Lotstetten-Schleuder, die St. Louis-Yeshiva oder insbesondere Läden in relativ grenznahen französischen Ortschaften wie Strassburg oder Gaillard offererieren Preise für die obgenannte exemplarische Produktauswahl, welche unvergleichbar erschwingbarer sind. Euro, Zoll oder Lohnniveau hin oder her. Und der Gipfel kommt erst noch: Die Gemeinde von Paris (also der grössten jüdischen Gemeinde Frankreichs) stellte auf http://www.consistoire.org/305.listes-a-telecharger online ein ausführliches Heft zur Verfügung mit Objekten von nicht zertifizierten Anbietern, welche Honig, Konserven und Basis-Nahrungsmitteln herstellen, welche auch an Pessach konsumiert werden dürfen (so übrigens auch für den 21. Jahrhundert-Pessach-Superstar Quinoa, der dort selbstverständlich nicht koscher zertifiziert sein muss). Unter anderem stand in besagter Publikation, dass gefrorenes Gemüse problemlos gekauft werden dürfe, wenn keinerlei andere Zusatzstoffe verwendet würden. Und auch in der Schweiz geht es anders: Einzelne Rabbiner haben in der Vergangenheit erlaubt, den gewöhnlichen Wasserkocher und -Thermos zu verwenden, wenn diese nicht direkt mit Brot in Kontakt gestanden hätten. Und mit etwas Rationalität ist auch erkennbar, dass Wärmeplatte und Kochplatten nur gereinigt werden müssen und nicht abgedeckt werden müssen, nachdem Chametz ja entgegen aller Erwartung und gewöhnlichen Laufs der Dinge sich während einer Woche bereit erklärt hat, weder zu springen noch die Aussenhülle eines Topfes zu penetrieren.
Darüber kann man sich aufregen oder man kann es akzeptieren, weil es der Weg des geringsten Widerstandes ist. Oder man steht hin und fordert die IGFKL nach einer Erklärung auf, aus welchen Gründen gefrorenes Gemüse boykottiert werden soll. Vielleicht erkennt der SIG aber auch nicht, dass die derzeitige Koscherüberwachung völlig mangelhaft ist (letzte vollständige Koscherliste datiert aus dem 2011, inexistente internationale Zusammenarbeit, obschon eine Vielzahl der hier angebotenen Waren im Ausland produziert werden, etc.). Es ist ein bisschen wie mit anonymen Rabbinaten in Städten, die wir weder kennen noch nennen: Man sagt lieber mal aus Vorsicht bzw. Unsicherheit Nein und muss sich deshalb nicht mit der Materie kritisch auseinandersetzen und eine differenzierte und womöglich konsumentenfreundliche Stellung zu beziehen.
Schlussendlich sind wir mit der derzeitigen Linie sicher dem Kuloy Koydesch-Status viel näher als dies behauptet sein möge, fragen uns aber je nachhaltig über den Sinn dieses Technokratismousse und entfernen uns behauptetermassen deutlich vom eigentlichen Sinn von Feiertagen, deren geistig-philosophischen Inhalt. Schade.
Schlussendlich sind wir mit der derzeitigen Linie sicher dem Kuloy Koydesch-Status viel näher als dies behauptet sein möge, fragen uns aber je nachhaltig über den Sinn dieses Technokratismousse und entfernen uns behauptetermassen deutlich vom eigentlichen Sinn von Feiertagen, deren geistig-philosophischen Inhalt. Schade.