Donnerstag, 17. Mai 2012

Vom Trolleybus-Rabbiner und von Gegenverkehr

Im Rahmen der Entmystifizierung der jüdischen "Parallelgesellschaft" fanden sich vor ein paar Wochen verschiedene Beiträge in den lokalen Medien. Fiona Bollag heiratete in Blick, Schweizer Fernsehen und in anderen Medien, andere durften zeigen, wie in einem normalen Einkaufszentrum parallelgesellschaftlich koscher eingekauft wird, dass ein eigener, effizienter Rettungsdienst besteht und vieles mehr (Link, Link 2 sowie der obligate Sensationslink). Fast im Schatten dessen fand eine wenig beachtete Debatte über die Ausrichtung der Israelitischen Cultusgemeinde und dessen Rabbinats statt. Das ganze fand in der Neuen Züricher Zeitung unter dem denkwürdigen Titel des "Trolleybus-Rabbiner"s statt. Wir möchten Euch die Porträtierung des ICZ-Rabbinats in der NZZ-Ausgabe vom 31.3.2012 nicht vorenthalten und posten hierzu den integralen Text nochmals:


Der Trolleybus-Rabbiner
Marcel Yair Ebel sieht sich als religiösen Ratgeber in der 150-jährigen Israelitischen Cultusgemeinde Zürich
Der orthodoxe Rabbiner der 150-jährigen jüdischen Zürcher Einheitsgemeinde vermittelt die religiösen Gesetze klar und strikt. Dass sich viele Mitglieder nicht streng danach richten, nimmt er gelassen.
Andreas Schürer
Marcel Yair Ebel ist ein grosser und breiter Mann mit kräftiger Stimme, doch zu fürchten brauchen ihn die Mitglieder der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) nicht. Der Rabbiner gibt zwar in Predigten in der Synagoge an der Löwenstrasse, über die ICZ-Homepage oder via Newsletter unmissverständlich durch, was nach der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, erlaubt ist und was nicht. Auf knapp dreissig Seiten hat er sogar zusammengestellt, welche Lebensmittel in Schweizer Detailhandelsgeschäften koscher, also halachisch unbedenklich, sind. Wenn aber Mitglieder gegen die gottgewollten Gesetze verstossen, müssen sie nicht mit einem rabiaten Rabbiner rechnen. Ebel, der gerne und oft in bildhafter Sprache redet, sagt: «Ich gebe keine Befehle, sondern Empfehlungen. Die Polizei verbietet auch niemandem, in einen Stau zu fahren; aber sie warnt und gibt Tipps, wie man besser vorankommt.»
Religiöser Spätzünder
Der Rabbiner selbst hat auch nicht immer streng nach der Halacha gelebt. Als Jugendlicher war er auf der Suche, politisch für soziale Rechte engagiert und zwar religiös, aber nicht praktizierend. Niemals habe er sich damals vorstellen können, Rabbiner zu werden. Er lernte Buchhändler und beschäftigte sich erst im Alter nach dreissig vertieft mit der Religion. Dann aber intensiv: Während rund zehn Jahren studierte er im Rahmen seiner Ausbildung zum Rabbiner jüdische Religionsschriften, vor allem die der Halacha zugrundeliegende Tora, die fünf Bücher Moses. In Florida schloss er das Studium schliesslich ab. Daneben hat er Ausbildungen in Pastoralpsychologie und Krisenintervention absolviert - und als Mitglied des Flughafen-Care-Teams nach dem Swissair-Absturz in Halifax Angehörige und Helfer betreut. Sein Weg zum Hauptrabbinat in der ICZ, das er seit 2007 innehat, führte über Anstellungen als Religionslehrer und Assistenzrabbiner.
Sein Werdegang habe ihn Toleranz gelehrt, erzählt Ebel. «Wissen Sie», fährt er fort, «verglichen mit Transportmitteln, gibt es drei Arten, die Religion zu leben.» Der Offroader-Typ sei wendig und fahre überall rücksichtslos durch. Der Tram-Typ bewege sich in klar vorgegebenen Schienen. «Für mich ideal ist der Trolleybus-Typ - der verfügt zwar über eine Oberleitung, kann aber ein Hindernis auch einmal links oder rechts umfahren.»
Nicht praktizierend orthodox
In der ICZ wird die «Oberleitung», wie sie Rabbiner Ebel versteht, immer wieder strapaziert: Die am Donnerstag 150-jährig gewordene Einheitsgemeinde mit heute knapp 2500 Mitgliedern versammelt Juden verschiedenster religiöser Schattierungen, darunter auch «Drei-Tage-Juden», die nur an besonderen Festtagen die Synagoge besuchen. Spannungen zwischen Orthodoxen und Moderaten sind ein Dauerbrenner. In beide Richtungen ist es schon zu Abspaltungen gekommen (siehe Kasten). Doch die Richtungs-Diskussionen innerhalb der ICZ sind nicht verstummt, angetrieben von der Angst, die Jugend zu verlieren. Ein Positionspapier aus dem Jahr 2008 schlägt vor, die ICZ in eine Art Holding-Gemeinde umzuformen. Unter einem Dach sollen verschiedene Sektionen geführt werden. Manche fordern auch einen eigenen Rabbiner für die Liberalen.
Für den orthodoxen Rabbiner Ebel zielen solche Vorschläge an den Mitgliedern vorbei. Die Spezialität der Zürcher ICZ-Juden sei, dass es unter ihnen kaum liberale, dafür aber viele «nicht-praktizierende Orthodoxe» gebe. Die Mehrheit lege grossen Wert auf persönlichen Gestaltungsfreiraum und benutze zum Beispiel am Sabbat auch Verkehrsmittel - trotz halachischem Verbot. Auf der anderen Seite sei vielen der streng orthodoxe Rahmen der Gemeinde und des Rabbinats wichtig. Ebels Metapher dazu: «Der Becher, aus dem sie trinken, muss perfekt silbrig glänzen. Den Inhalt wollen sie dann aber selber bestimmen.» Diese optionale Orthodoxie, auch Stellvertreter-Orthodoxie genannt, verlange nach einem Rabbiner in der Vorbildrolle, der die Leitplanken vorgibt, oder eben, in Ebels Trolleybus-Bild, die «Oberleitung».
Wichtig ist laut dem Rabbiner vielen Mitgliedern auch, dass sie sich bei verbindlichen Akten wie Hochzeiten der unanfechtbaren Autorität des Rabbinats sicher sein können. Um die Jugend macht sich Ebel keine Sorgen: «Spätestens wenn die Jungen Väter und Mütter werden, gehen viele den traditionellen Weg.» Dass ein liberaler Rabbiner angestellt wird, kommt für Ebel nicht in Frage - zu gegensätzlich seien die Ideologien: «Die Liberalen haben einen komplett anderen Zugang zum Judentum als wir Orthodoxen.» Die Liberalen glaubten nicht, dass die Tora Moses am Berg Sinai direkt von Gott übergeben wurde und somit unveränderlich sei, sondern sie hielten die Offenbarung bloss für göttlich inspiriert und somit anpassbar an moderne Fragestellungen wie Gleichberechtigung der Geschlechter oder Homosexualität.
Reizthema Mischehen
Statt auf eine Holding-Gemeinde setzt Ebel auf ein orthodoxes Rabbinat, das klar den Weg der Tora aufzeigt - aber den Mitgliedern bei der Umsetzung «nicht in die Suppentöpfe schaut». Das verlangt selbstredend von den orthodoxen Mitgliedern Toleranz: Sie müssen akzeptieren, dass es nicht alle so genau nehmen mit den religiösen Gesetzen wie sie. Gibt es Grenzen der Toleranz? Ebel kommen drei Punkte in den Sinn: Doppelmoral, Gier und das Reizthema Mischehen. Kein Verständnis habe er für Leute, die dreimal am Tag die Synagoge besuchen und dazwischen «monkey business», faule Geschäfte, betrieben: «Man kann nicht gut zu Gott und schlecht zu den Menschen sein.» Wütend machten ihn jene, die in Zürich lebten, aber nicht in der ICZ, sondern in Kleingemeinden wie in Endingen oder Winterthur mitmachten, weil sie dort weniger zahlen müssten.
Grenzen hat die Toleranz des Rabbiners auch beim Thema Mischehen. Auf menschlicher Ebene verstehe er zwar gut, dass sich ein Jude in eine Nichtjüdin verlieben könne und umgekehrt. Jüdisch zu sein, heisse aber nicht nur, einer Religionsgemeinschaft anzugehören, sondern bedeute auch, solidarisch zu sein mit dem eigenen Volk. Die jüdische Gemeinschaft leide immer noch stark unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs, sagt Ebel und verweist auf einen Ausspruch des britischen Oberrabbiners Lord Sacks: Zahlenmässig seien sie heute weniger als der statistische Irrtum beim Zählen der Chinesen. Ebel meint: «Wenn bei uns einer weggeht, tut uns das weh.» Dreinreden will der Rabbiner den Jungen aber nicht. Er wolle sie bloss aufklären, was die Religion und die Statistik sage. «In ihrer Entscheidung sind die Jungen frei - aber wenn sie davonlaufen, müssen sie wissen, vor was.»
Aber Rabbiner Ebel betont, dass es auch auf den Strassen der Liebe eine Umfahrungsmöglichkeit gibt, dass der Trolleybus ausweichen kann: «Wenn der nichtjüdische Partner zu einem orthodoxen Übertritt zum Judentum bereit ist, vollziehe ich ihn - und spreche nicht mehr von einer Mischehe.»


Relativ kurze Zeit darauf, am 26. April 2012, fand im selben Medium eine Entgegung durch einen Exponenten des linken Flügels der ICZ statt, dem Ex-Präsidenten Werner Rom, welcher sich mit den Darstellungen von Rabbiner Marcel Yair Ebel nicht einverstanden erklärte und deklarierte, dass sich die ICZ wichtigen Fragen und einer grundlegenden Diskussion nicht stelle und insgesamt eine wichtige Debatte über die künftige Struktur der grössten jüdischen Gemeinde der Schweiz anstünden. Unter anderem fussen die Aussagen auf einem Positionspapier zur Bildung verschiedener Stämme, welche die künftige ICZ bilden sollen. Hierzu ebenfalls der integrale Text:


Der «Trolleybus-Rabbiner» hat Gegenverkehr

150 Jahre nach ihrer Gründung steht die Israelitische Cultusgemeinde vor einer Richtungsdiskussion

Die jüdische Einheitsgemeinde Zürichs steht vor wichtigen Weichenstellungen, weicht aber der Diskussion darüber aus: Das findet ihr ehemaliger Präsident Werner Rom. Er fordert eine Öffnung und warnt vor den Folgen, wenn sie verpasst werde.

Andreas Schürer
Lange lag das Positionspapier in der Schublade. «Neue Wege unserer Einheitsgemeinde» heisst die Schrift, in der im Jahr 2008 Ideen formuliert wurden, wie die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ) für die Zukunft gerüstet werden könnte. Die zentrale Vision lautet: Die mit rund 2500 Mitgliedern grösste jüdische Gemeinde der Schweiz sollte der Entwicklung Rechnung tragen, dass längst nicht mehr alle Mitglieder orthodox eingestellt seien, sondern ihrem Judentum in unterschiedlichen religiösen Formen, kulturell oder auch säkular, Ausdruck verliehen. Vorgeschlagen wurde die Schaffung verschiedener Stämme, die von jeweils eigenen Leitern geführt werden. Die Autoren schreiben: «Wir befürworten, fordern und fördern die Einheitsgemeinde, die nach aussen stark genug ist, um ihre eigenen Wege zu gehen, und nach innen vielfältig genug, um die verschiedenen Bedürfnisse ihrer Mitglieder abzudecken.»
Einer der Autoren dieses Positionspapiers ist der Zolliker Werner Rom, der die ICZ von 1993 bis 2001 präsidierte. Er bedauert, dass die Vorschläge keine Diskussion ausgelöst haben. Viele ICZ-Mitglieder hätten offenbar Hemmungen, über Öffnung und Anpassung zu diskutieren – dies sei aber nötig. In dem Papier heisst es auch: «Wir sind überzeugt, dass die ICZ ohne Grundsatzdiskussion kaum eine Zukunft haben wird.» Nicht schlecht gestaunt hat Rom, als er in diesen Spalten kurz nach den 150-Jahre-Feierlichkeiten der ICZ das Porträt ihres Rabbiners Marcel Yair Ebel las (NZZ 31. 3. 12). Rom sagt: «Ebel hat sich erstmals öffentlich zu dem Positionspapier geäussert. Es ist schon ein wenig speziell, dass diese innerjüdische Diskussion via NZZ angestossen wird.»

Gefährdete Glaubwürdigkeit?

Den Öffnungsvorschlägen hat Ebel mit seinen Äusserungen eine Absage erteilt. Zusätzliche Rabbiner und die Schaffung neuer Strukturen seien der falsche Weg, meinte er. Die Spezialität der ICZ-Juden sei, dass es unter ihnen kaum liberale, dafür aber viele «nicht-praktizierende Orthodoxe» gebe. Die Mehrheit lebe zwar nicht streng nach dem jüdischen Religionsgesetz, der Halacha, lege aber grossen Wert auf ein orthodoxes Rabbinat. Seine Metapher dazu: «Der Becher, aus dem sie trinken, muss perfekt silbrig glänzen. Den Inhalt wollen sie aber selber bestimmen.»
Ebel versteht sich in seiner Rolle als orthodoxer Rabbiner der Einheitsgemeinde als Vorbild, das klar sagt, was eine halachisch korrekte Lebensführung bedeutet, den Mitgliedern aber nicht dreinredet. Sigi Feigel, der die ICZ lange leitete und dem die Stadt Zürich im Jahr 2006, zwei Jahre nach seinem Tod, einen Platz an der Sihl gewidmet hat, brachte diese Haltung einst so auf den Punkt: «Die ICZ schaut ihren Mitgliedern weder in die Kochtöpfe noch unter die Bettdecke.» Rabbiner Ebel vergleicht seine bevorzugte Art, die Religion zu leben, mit einem Trolleybus: «Der hat eine Oberleitung, ohne die er nicht fahren kann und die ihm die Richtung vorgibt. Aber er kann ein Hindernis links oder rechts umfahren.»
Werner Rom erscheint dieses Bild zwar originell, es leite aber in die Irre. Das Judentum lasse nicht nur leichte Schwenker nach links oder rechts zu, sondern viele verschiedene Wege, vergleichbar mit einem aus verschiedenen Linien bestehenden Trolleybusnetz einer mittelgrossen Stadt. Rom sagt: «Wir kennen im Judentum keinen Vatikan, keine Top-down-Struktur, keine Dogmen.» Das Judentum stütze sich nicht nur auf die schriftliche, sondern auch auf die mündliche Überlieferung, was verschiedene Wege zulasse, die alle zum Ziel führten.
Zudem gebe es gerade in der ICZ viele Mitglieder, die sich nicht über die Theologie, sondern über Kultur und Tradition definierten. Der ehemalige ICZ-Präsident Rom schlussfolgert daraus: «Ein ausschliesslich orthodoxes Rabbinat in einer Gemeinde, die weitgehend nicht orthodox lebt, verliert auf die Dauer seine Glaubwürdigkeit.»

Tabuisierte Mischehen

Besonders pikant ist die Diskussion über eine Öffnung beim Thema Mischehen. Einen nichtjüdischen Partner zu wählen, verstösst nach orthodoxer Lesart nicht nur gegen die Halacha, sondern ist auch ein Verrat am jüdischen Volk, streng formuliert eine Ausrottung von innen. Für Rom ist es bei einer Mischehenrate von 50 bis 60 Prozent höchste Zeit, dieses Tabuthema anzusprechen – und sich zu öffnen. Er meint: «Wenn wir den Jungen nicht ermöglichen, sich mit ihren nichtjüdischen Partnern zu integrieren, werden wir schlicht und einfach viele verlieren.»
Vor allem für Kinder von jüdischen Vätern und nichtjüdischen Müttern müsse eine Lösung gefunden werden, da das Judentum nach orthodoxer Auslegung nur über die Mutter weitergegeben wird. Das Modell mit den verschiedenen Stämmen könnte integrativ wirken, indem zum Beispiel eine Richtung diese Kinder als jüdisch akzeptiere und sie so ICZ-Mitglied sein und jüdische Traditionen pflegen könnten, findet Rom. Er sagt: «Klar ist, dass solche Modelle von allen gegenseitigen Respekt verlangen. Wir müssen erkennen, was wir gewinnen können, und nicht nur Angst haben, zu verlieren.»

Gefahren aufzeigen

Der amtierende ICZ-Co-Präsident André Bollag zeigt sich gegenüber Roms Ideen offen, er meint aber auch: «Weitreichende Neuerungen wie die Schaffung verschiedener Stämme können nicht von oben diktiert, sie müssen von der Basis gewünscht werden.» Bedacht werden müsse auch, dass etwa 70 Prozent der 2500 Mitglieder kaum je in der Synagoge anzutreffen seien. «Diese Leute kommen auch nicht, wenn wir verschiedene Stämme haben.»
Die Einschätzung von Rabbiner Ebel, dass viele zwar nicht nach der Halacha lebten, aber ein orthodoxes Rabbinat wünschten, teilt Bollag. Er hat dafür den Begriff «Stellvertreter-Orthodoxie» kreiert. Er meint aber warnend: «Nochmals eine Generation wird diese Form des religiösen Lebens nicht überleben.» Wie schwierig es sei, den orthodoxen Rahmen ohne genügend praktizierende Mitglieder aufrechtzuerhalten, zeige ein kleines Beispiel: Den Vorleser aus der Thora muss die ICZ für seine Dienste am Samstag in der Synagoge bezahlen. Freiwillig macht es niemand.
Auch für Bollag ist deshalb klar: Die Diskussion über die künftige Ausrichtung ist dringend nötig. «Wir können sie nicht diktieren», sagt der ICZ-Co-Präsident, «aber es ist unsere Aufgabe als Führungsriege, die Diskussion anzustossen und die Gefahren des Status quo aufzuzeigen.» Die Entscheidungen treffe aber die Gemeinde.
Der Diskussion verschliessen will sich auch der Rabbiner Marcel Yair Ebel nicht. In Einheitsgemeinden sei die demokratische Auseinandersetzung wichtig, am Schluss entscheide der Souverän. Ebel sagt: «So wie ich die Gemeinde einschätze, wünscht diese und die nächste Generation aber keine Änderungen.»

Freitag, 11. Mai 2012

Grosse Comedy

Dienstag, 8. Mai 2012

Hollande wird gewählt und ganz Frankreich feiert!

Masel Tov, wir freuen uns alle. Und sehen in fünf Jahren, ob dies wirklich die bessere Wahl gewesen sein wird als Sarkozy. Und wieviele Drohungen, Ankündigungen der neue französische Staatspräsident bis dann vollziehen wird.
Derweil freuen sich alle kleinen und grossen, alten und insbesondere jungen Franzosen in den Strassen von Paris. Freuen sich so sehr, dass ihnen die Scheisse nur so vom Gehirn runterrinnt. Das Grundrezept der Demagogie und des politischen wänn'd-überleisch-es-isch-scho-so-wänn'd-überleisch-Twitter-Gedankenguts ist ja, dass es auf den Inhalt gar nicht darauf ankommt, wenn er nur in sehr überzeugendem Tonfall kommuniziert wird.
Arie Elmaleh jedenfalls hat sich mit "Khoutspah TV" unter die Menge gemischt und für die Frankophonen und diejenigen, welche die Jahre zum letzten Französisch-Unterricht noch zählen können, einige sehr bedenkliche Wortmeldungen in Paris eingesammelt. Schockierend, was man heute von sich geben kann, wenn nur eine Kameralicht rot blinkt.

Sonntag, 6. Mai 2012

Der israelische Fussball steht vor dem Abgrund

Die Bilder stammen vom 21. April 2012, sind aber dermassen schockierend, dass sie auch rund zwei Wochen (bzw. vier Wochen) später kaum an Relevanz verloren haben. Bereits am 1. April 2012 war es anlässlich des Spiels zwischen Hapoel Haifa und Maccabi Petach Tikva zu wüstesten Zwischenfällen gekommen. In der Schlussminute war es nach dem Freistosstreffer von Maccabi Petach Tikva zum endgültigen 2:0 zu einer Keilerei gekommen. Dabei verfehlte Ali Khatib (in schwarzer Jacke in der Mitte) einen Gegenspieler mit einer schwungvollen Rechten nur knapp, bevor er vom Ersatztorhüter des Gegners, Ami Ganiv mit einer schockierend brutalen Kopfnuss niedergestreckt wurde. Am Boden liegend wird er mitten im Gewühl und weiteren Gewalttätigkeiten unter anderem auch noch von einem Funktionär der Mannschaft aus dem Norden Israels, Yigal Mamon (im Video mit weisser Jacke), mit Fusstritten ins Gesicht getroffen, bevor der Täter das Weite sucht. Ali Khatib verlor bei diesem "Zwischenfall" Zähne und Bewusstsein und erlitt zudem einen Kieferbruch. Kopfnuss und Ausschreitungen auf Video: Im Anschluss verfügte die Liga einen Punktabzug zulasten von Maccabi Petach Tikwa, das hierdurch wieder gefährlich nahe an die Abstiegsplätze geriet. Daraufhin geschah aber, womit niemand rechnete, nämlich, dass Avi Luzon, der Vorstehende des Israelischen Fussballverbandes - und insbesondere langjähriges Vorstandsmitglied von Maccabi Petach Tikva - bestimmte, dass die Punkte erst auf die kommende Saison hin abzuziehen seien. Eyal Berkovitch initierte daraufhin einen Protest, der 5'000 Fans auf die Strasse führte, welche den Nepotismus der Liga anprangerten und Avi Luzon zum Rücktritt forderten. Zwei Wochen darauf ereigneten sich jedoch noch grössere Ausschreitungen in der zweithöchsten Spielklasse Israels zwischen Hapoel Ramat Gan and Bnei Lod. Die Bilder sprechen für sich und sind derart peinlich, dass man sich die Frage stellen könnte, ob sie einer Publikation überhaupt würdig sind. Resultat der Ausschreitungen war die Verletzung von vier Beteiligten und die Verhaftung zweier Personen. Avi Luzon verfügte darauf hin die Suspendierung jeglicher Spiele der nationalen Liga im "Heiligen Land" und Limor Livnat, Kultur- und Sportministerin Israels, verfügte einen zweiwöchige Unterbrechung der obersten Ligen. Auch hier sprechen die Bilder für sich, man beachte insbesondere aus welcher Distanz die Prügelnden kommen, mit welcher Intensität sie auf ihre Gegner und Opfer einschlagen und wieviele Funktionäre (und Trainer!) beteiligt sind. Und die klassischen Gar'inim-Argumente wie "Sie haben angefangen, was soll ich tun, fliehen? Ich fliehe vor niemandem, nur von Gott". Na dann. Gute Nacht Fussball. Kwöll: 101greatgoals.com

Dienstag, 1. Mai 2012

Satmarer Mischpochologie from the Hood

Ohne Worte, dieser Typ aus Williamsburg ist einfach zu viel. Kennt die ganze Satmarer und Viznitzer Sippe inkl. den Mazzebäcker. Einfach hinhören und geniessen.

Oma Mascotte tanzt sich aus

In froher Erwartung auf den offiziösen Kameramann (a.k.a. Rotzlöffel), der sich der filmenden Marokkanerin in dreister Weise in den Weg stellte, publizieren wir einstweilen die Guerilla-Bezeugung der Darbietung von Chassidus Chübelsack anlässlich dessen letzten Chassene ins wilde Gewebe. Mit diesem epischen Zeitdokument an Koordination, diesem Stück Teenie-Band-Weltgeschichte, dieser extravaganten Galavorstellung meldet Chassidus Chübelsack nun offiziell ausverkauft. Wir haben keine strammen, extrem männliche Böcke mehr zu vergeben, den letzten haben sie nun wieder nach Friesland in den Windkanal verfrachtet mitsamt seiner austriakischen Prinzessin.  
Es sei an dieser Stelle betont, dass die Kreischgeräusche, welche mitten im Tanz zu hören sind, nach Beendigung des Stunts völlig überbordeten. Die Protagonisten mussten alle ihre Kleider loswerden und wurden von austriakischen Amazonen bis in die Garderoben verfolgt, so schlimm waren die Nachstellungen und Avancen (oder ereignete sich diese Gnadenlosigkeit doch bereits am Donnerstag?). Kein Witz, alles wahr und wie immer nur auf Eurem Kanal des absoluten Vertrauens. Nebbisch. Top 5 des Wochenendes: 1. Max unter der Chuppoh 2. Der israelische Tanzblock mit Überkochstimmung am Abend 3. Das Schweine-Vleisch im Vegetasia 4. Mit Kater am Montag auf eine Prater-Bahn (no-go, absoluter no-go) 5. Dani Baba

Die Zürcher Koscher-Gammelfleisch-Diskussion

So, endlich haben wir wieder ein Thema, das die Gemüter zwischen Oberweningen, Lengnau, Küsnacht und Zug in Wallung bringt. Vielleicht ist die Suppe auch deutlich wärmer gekocht als sie schlussendlich gegessen wird, aber mal der Reihe nach. Vor rund einer Woche findet ein Zeitgenosse im Le Shuk in Zürich ein Pack Poulet, dessen ursprüngliches Ablaufdatum, wie es vom Produzenten bzw. Abpacker in Frankreich vermerkt war (im Grunde sind auf dem ersten Kleber zwei Daten, 12/2010 für den Frischverkauf, 12/2012 für den gefrorenen Verkauf), mit einem weiteren Kleber der Metzgerei Kol-Tuv versehen wurde. Dieser zweite Kleber weist nunmehr ein neues Ablaufdatum aus, welches das ursprüngliche um rund vier Monate überschreitet. Was danach passiert, ist eine Anprangerung dieses Umstandes über Facebook in einem wohl etwas übers Ziel schiessenden Ton und Wortlaut, welcher erstens den falschen Adressaten trägt, nämlich Le Shuk und nicht die Kol-Tuv, und zweitens wie gesagt eine sachliche Diskussion nicht zulässt. Unbestrittenermassen ist die Koscherfleisch-Versorgung im Raum Zürich suboptimal. Preise hierfür liegen über Fr. 45.-/kg (Beispiel Steak vom Rind), was für viele Familien wohl an die Leistungsgrenze geht. Vereinzelt wird Ware verkauft, welche unbestreitbar ungeniessbar ist und bereits Verfärbungen aufweist. Zudem ist der Service in der Metzgerei selbst suboptimal: Es werden unverhältnismässig hohe Zuschläge verrechnet (Vakuumisierung zu Fr. 6.-), bestellte Ware wird nicht zu vereinbarten Zeiten und an solche Orte geliefert, was eine Rücksendung und Vernichtung der Ware auf Kosten der Metzgerei zur Folge hat. Über den Umstand der problematischen Preisfindung zwischen Verkäufer und Käufer liegen offensichtliche Mängel operationeller Natur vor, welche einer Überprüfung bedürfen. 
Nachdem es sich beim Schreibenden nicht um einen ausgewiesenen Lebensmittelexperten und Kenner der relevanten Bestimmungen handelt, sind folgende Überlegungen als Fragen formuliert:
- Inwiefern trifft den Verkäufer einer abgepackten und angeschriebenen Ware eine Pflicht, die Ablaufdaten der fraglichen Ware zu kontrollieren? Kann er sich auf die Angaben des Lieferanten stützen oder haftet er selbst gegenüber dem Käufer für die Qualität der Ware?
- Wer kontrolliert die Prozesse innerhalb der Metzgerei (Einhaltung von Kühlkette, Ablaufdaten, Angemessenheit der Verrechnung von Leistungen)? Wie sieht eine Prüfung der Lebensmittelbehörde aus (zeitliche Abstände? Mit oder ohne Voranmeldung?)
- Wie löst man die nicht zufriedenstellende Problematik, dass im Raum Zürich seit über einem Jahrzehnt keine Konkurrenz mehr auf dem Koscherfleisch-Markt besteht, sondern nur ein einziger Anbieter eine Monopolstellung ausübt und sich deshalb keine Sorgen bezüglich der Qualität seiner Leistungen machen muss?
- Angenommen, im weiteren Raum Zürichs konsumieren ca. 3'000 Personen (auch) koscheres Fleisch: Wie unwahrscheinlich ist es, ein Koscherfleisch-Business zu humanen Preisen und gewinnbringend zu betreiben? (Die Bezahlung der Kontingentierung kann man beschränkt gelten lassen, wenn auch dies ein beschränkter Preistreiber sein dürfte. Der Umstand des Imports zählt nicht nur, ein wichtiger Anteil des treyfenen Fleischs wird ebenfalls importiert. Bleibt die Frage des Volumens, welches für koscheres Fleisch unvergleichbar tiefer liegt.)
Die Liste kann erweitert und ergänzt werden. Jedoch ist es auch hier essentiell, Anstand und Fairness zu bewahren. Erstens muss mit denjenigen Playern schlussendlich umgegangen werden, welche dieses Geschäft lokal betreiben. Zweitens bringt die Androhung der Publikation in öffentlichen Medien in diesem Zusammenhang überhaupt nichts ausser einer fetten Entweihung G'ttes: Welcher Konsument wird den Artikel im 20 Minuten lesen, entrüstet den Kopf schütteln und ab sofort nur noch im Bell einkaufen gehen...